Der Studiobau des Bayerischen Rundfunks in München
Rundfunkplatz 1
80335 München
Erbaut: Baubeschluss 1955, Baubeginn 1958, Einweihung 1963
Entwurf: Josef Wiedemann, Werner Eichberg, Otto Roth
Geschütztes Baudenkmal: nein, in Prüfung
Status: Akute Gefährdung
Geht es nach dem Bayerischen Rundfunk, dann soll ein Teil des Stammgeländes an der Marsstraße verkauft werden. Es ist damit zu rechnen, dass der darauf befindliche Studiobau abgerissen wird, um das Grundstück immobilienwirtschaftlich zu verwerten. Das wäre der Totalverlust des bedeutenden Studiobaus, der das Zeug zum Baudenkmal hat.
Unterstützung: moderneRegional, Initiative BR Studiobau retten, Denkmalnetz Bayern
Der Studiobau des Bayerischen Rundfunks– das Herz des BR am Rundfunkplatz in München in Gefahr
Gegen die Verkaufs- und Abrisspläne gab und gibt es Proteste, von Kunstschaffenden, Architekten und Denkmalschützern, mit Verweis auf die baugeschichtliche und kulturhistorische Bedeutung des Baus wie die der darin entstandenen Aufnahmen, der Weiterentwicklung von Technik, Radio Art und Klangkunst.
Die Existenz des Studiobaues des Bayerischen Rundfunks ist akut gefährdet, deshalb wurde er bereits auf die Rote Liste des Deutschen Kulturrates gesetzt. Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, sagt dazu: „In der heutigen Zeit ein funktionierendes und kulturell einmaliges Gebäude abzureißen, ist ein unverständliches Unterfangen. Nachhaltiges und kulturelles Handeln ist gerade für den Öffentlich-Rechtlichen Rundfunk verpflichtend. Wir appellieren an den Bayerischen Rundfunk, den Kulturort Studiobau in der Mitte von München nicht zu zerstören.“ 1
Kann man den BR-Studiobau als Baudenkmal bewerten?
Nach dem Bayerischen Denkmalschutzgesetz sind Denkmäler von Menschen geschaffene Sachen oder Teile davon aus vergangener Zeit, deren Erhaltung wegen ihrer geschichtlichen, künstlerischen, städtebaulichen, wissenschaftlichen oder volkskundlichen Bedeutung im Interesse der Allgemeinheit liegt.
„Vergangene Zeit“
Der BR Studiobau ist zweifellos ein Denkmal aus vergangener Zeit, er gehört zu einer heute abgeschlossenen Phase der Architekturgeschichte, Nachkriegsmoderne, die – ausgehend von der angestrebten Nutzung – hier eine ganz individuell ausgeprägte Lesart erfährt, in welcher aber auch der Primat des „edlen Materials“ und der gestalteten Flächen ebenso bestimmend wird, wie auch der klare Gedanke einer mit der Funktion symbiotischen Konstruktion im Vordergrund steht.
Geschichtliche Bedeutung
Das Interesse der Allgemeinheit an der Erhaltung des BR-Studiobaus lässt sich mit geschichtlicher Bedeutung begründen. Die Münchner Maxvorstadt war durch die Bombenangriffe 1943-44 großenteils zerstört, auch das 1929 von Richard Riemerschmid erbaute Stammhaus des Bayerischen Rundfunks in der Hopfenstraße, das mittlerweile denkmalgeschützt ist. Die Studios und der angebaute große Sendesaal waren komplett abgebrannt. Die US-Militärregierung sanierte den Riemerschmid-Bau, doch der war mittlerweile zu klein für das weiter aufstrebende Massenmedium Radio und so suchte man für die Erweiterung – viele Studios und Redaktionsräume waren über die Stadt verteilt – einen geeigneten Platz. Zunächst wurde das Areal um das Armee-Museum in Betracht gezogen, doch dann entschied sich der Verwaltungsrat aus finanziellen Gründen für das Gelände um das Stammhaus in der Hopfen-, Ecke Marsstraße. Gegenüber der Spatenbrauerei konnte man einen Grund erwerben und so begann das Bauvorhaben im Frühjahr 1958 mit über 2800 Plänen, eine Brücke zur Welt – einzigartig in Europa, sollte er werden.
So ergänzt der Studiobau die 100jährige Geschichte des Bayerischen Rundfunks, als technisch-akustisches Wunderwerk zwischen den Anfängen des Radios und dessen Weiterentwicklung bis heute. Der Studiobau ist steingewordenes Symbol für Demokratie, er steht für die Sozialisierung mehrerer Generationen, als mitten in der Stadt und in der Gesellschaft verwurzelter Raum für Veranstaltungen und Konzerte, für Festivals und Musikwettbewerbe, für Education-Projekte und Medienkompetenz, für Volks- und Jazzmusik, für Kammer- und Orchestermusik, ein freier Denk- und Debattierraum für Dichter und Denker und Kunstschaffende aller Genres, für Kinder, Jugendliche und Erwachsene gleichermaßen. Ein Treffpunkt mitten in der Stadt für alle kultur- und technikinteressierte Menschen. Als Zeugnis des Medienzeitalters in Bayern ist der Studiobau gemeinsam zu betrachten mit dem Riemerschmid-Bau von 1929 und dem Hochhaus von 1976 an der Arnulfstraße. Das gesamte Areal steht für 100 Jahre Radiogeschichte.
Künstlerische Bedeutung
Auch eine künstlerische Bedeutung lässt sich heranziehen. Der Münchner Architekt Josef Theodor Wiedemann (1910–2001) wurde 1955 zusammen mit Werner Eichberg (Professor für Hochbaukonstruktion an der THM 1955–1976) und Otto Roth (BAIV) mit der Planung einer „Radiocity“ beauftragt. Im selben Jahr wurde Wiedemann an die THM als Professor für Entwerfen, Denkmalpflege und Sakralbau berufen. Wiedemann war Schüler von German Bestelmeyer und Hans Döllgast und Mitglied der Akademie der Schönen Künste. Er war einer der wichtigen Wegbereiter des Wiederaufbaus von München. Der Aufbau des ehem. Odeon, der Alten Akademie, des Siegestors und der Glyptothek können als Referenzen genannt werden. Sein Lebensmotto war: „Alle Fragen der Gestalt führen zu den Grundlagen unseres Lebens“.
Der BR Studiobau gehört zu Wiedemanns Hauptwerk der Nachkriegsmoderne Anfang der 60er Jahre, deutlich wird an diesem Gebäude seine besonnene, schlichte, handwerkliche Architektursprache und der einfühlsam-kommunikative Umgang mit dem historischen Ort, dem Nachbargebäude des Riemerschmid-Baus. Ein durchkomponiertes Bauwerk, das der Logistik eines modernen Funkhauses folgt. Trotz der betonten Funktionalität zeigt das Radiogebäude speziell im Inneren auch das Bestreben nach künstlerischer Formgebung. Wiedemann beauftragte etwa den Bildhauer Louis Robert Lippl (Professor für Grundlehre des Gestaltens an der TUM 1958–1974) für die Bodengestaltung im Eingangsbereich vor den Konzertsälen und Helmut Magg (Dozent und Professor für Innenarchitektur und Möbelentwurf an der Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg 1981–1992) für die Gestaltung der Kommunikationsbereiche.
Josef Wiedemann war begeistert von den neuen Bürokomplexen der USA, die die Strukturierung nach Arbeitsabläufen und -bedürfnissen erfüllten. Der Mensch sollte im Mittelpunkt der Planung stehen, der „Arbeits-Raum“ sollte zum „Lebens-Raum“ werden. Dafür war es notwendig, sich eng mit dem Bauherrn, den Redakteuren, den Tonmeistern und den Akustikern abzustimmen. Auf Effekt ist der Studiobau nicht gebürstet, aber trotzdem ist Josef Wiedemanns künstlerische Handschrift überall zu sehen. Das Künstlerfoyer im Untergeschoß mit den polierten Aluminiumsäulen, die den langen Gang zu den beiden Studioaufgängen strukturieren. Die Wände vor den Wortstudios im 5. Stock wurden mit afrikanischem Birnenholz verkleidet. Die exklusiv von Designstar Helmut Magg entworfenen zweifarbigen Marmortische mit unterschiedlichen Mustern wurden in den berühmten Deutschen Werkstätten in München gefertigt: Stahlgestelle, ausgelegt mit Serpentino verde und Dionysos alba Marmorplatten, ein Spiel mit geometrischen Formen.
Die Innengestaltung lebt von Details und künstlerisch gestalteten Sonderanfertigungen, wie dem erwähnten Lippl-Boden, der die Konzertbesucher vom Riemerschmid-Bau ins Palisander-Foyer führt, ausgekleidet mit Holzfurnieren im skandinavischen Stil. Nicht umsonst nannte man Wiedemann „Arne Misplund“, eine Kombination aus Vertretern der nordischen Architektur wie Arne Jacobsen, Gunnar Asplund und Mies van der Rohe.
Bedeutung der Akustik
Das Gebäude wurde von innen nach außen geplant. Innen die 12 Studios, jedes für sich ein Haus, abgekoppelt von allen anderen Räumlichkeiten und dadurch schallisoliert, Decken und Wände auf Federn gelagert, die Böden schwimmend, als eine „Haus-in-Haus-Konstruktion“ wie die Elbphilharmonie (Herzog & de Meuron, 2016 fertiggestellt).
Alle großen Studios lagern auf Federn und sind akustisch entkoppelt, so dass alle Aufnahmeräume gleichzeitig bespielt werden können. Die Haus-in-Haus-Konstruktion wurde in den drei Konzertstudios zusätzlich akustisch flexibel gestaltet. Durch den Austausch der akustisch vermessenen Kassetten (Absorber und Reflektoren), in Alu-Rahmen verbaut, kann bei Bedarf der Nachhall der drei Studios verändert werden. Eine akustische Raffinesse, die es in keinem anderen europäischen Aufnahmeraum gibt.
Die Deckengestaltung der großen Studios wurde eigens entworfen, Wunderwerke, nicht nur akustisch: die zackenförmigen Plexiglas-Konstrukte, die sowohl Licht für das Orchester als auch für das Publikum spenden, regeln auch die Kaltluftzufuhr. Sie wird über die parallel zu den Zacken gebogenen Alu-Rohre durch das perforierte Plexiglas geleitet.
Ein Alleinstellungsmerkmal des Gebäudes: Sämtliche Schallmessungen wurden in den Aufnahmeräumen bereits im Rohbau messtechnisch überprüft und optimiert für eine perfekte Akustik. Die von Musikstars aus aller Welt geschätzt wird und die deswegen zu Aufnahmen ins Funkhaus nach München kommen. Aufgrund seiner besonderen Bauweise, seiner anspruchsvollen Konzert- und akustisch entkoppelten zahlreichen Probenräume hat er sich als Austragungsort für renommierte Wettbewerbe wie „Jugend musiziert“ bewährt oder den international hochgeschätzten „ARD-Musikwettbewerb“.
Bautechnische Bedeutung von Fassade und Gründung des Gebäudes
Die Entwicklung der vom Bauwerk getrennten, hinterlüfteten Fassade mit zwängungsfrei befestigten Fassadenplatten ist zurückzuführen auf den Architekten und Bauingenieur Prof. Wilhelm Schaupp (1922-2005). Am Studiobau konnte er die Realisierbarkeit seiner Berechnungen in der Praxis beweisen. Damit steht der Studiobau bauhistorisch als deutscher Prototyp für die Baunorm DIN 18515 aus den 1960er Jahren für die Trag- und Halteanker-Fassadenkonstruktion und deren Weiterentwicklung als DIN 18516 in den 1990er Jahren. Nach dieser Schauppschen Konstruktion umschließen 10.000 Tonnen unverfugte Kirchheimer Muschelkalkplatten den Bau.
Zum ersten Mal in Deutschland standen auf einer Baustelle Pfahlbohrtürme des französischen Unternehmens Société Benoto, das mit dieser Bauweise das Hafenbecken von Le Havre nach der Zerstörung im 2. Weltkrieg bis in eine Tiefe von 30 Metern sicherte! In der Marsstraße musste man nur 16 Meter in die Tiefe, aber die Umspundung gelang nicht auf Anhieb. Die Pfähle konnten nur mit fachkundiger Unterstützung von Richard Jelinek, seit 1954 an der Technischen Hochschule zuständig für die Abteilung Grundbau und Bodenmechanik, erfolgreich ausgeführt werden. Professor Jelinek war Bauingenieur und eine Koryphäe auf seinem Gebiet. Zu Jelineks Expertise kam der Erfindungsgeist der Schrobenhausener Brunnenbaufirma Bauer, die zusammen mit ihm den sogenannten Injektionszuganker erfanden, eine Art Rückverankerung, die auf der BR-Baustelle dokumentiert und später zum Patent angemeldet wurde.
Städtebauliche Bedeutung
„Der von Josef Wiedemann, Werner Eichberg und Otto Roth geplante und 1958-63 errichtete Studiobau vereint zukunftsweisende architektonische, ingenieurtechnische und raumakustische Lösungen mit hochwertiger baukünstlerischer Ausführung. Durch unzählige Aufnahmen, Konzerte und Veranstaltungen ist er für Künstler und Publikum zu einem Ort geworden, dessen Verlust nicht wiedergutzumachen wäre.“ 2
Das „Herz des Bayerischen Rundfunks“ wurde zentral, innerstädtisch, nur wenige Schritte vom Münchner Hauptbahnhof und der historischen Altstadt Münchens gebaut. An diesem Standort erfüllt er nach 60 Jahren Dauerbetrieb mit unzähligen Produktionen und Veranstaltungen nach wie vor täglich seine Aufgabe und ist den Wort- und Musikkünstlern, Orchestern, Regisseuren, Journalisten und Schauspielern wie auch ihrem Publikum über Generationen ein fester Begriff geworden.
Wissenschaftliche Bedeutung seiner technischen Ausstattung für die Radiokultur
Es hat keine 100 Jahre gedauert von den ersten 6 Pfund schweren Marmorblockmikrophonen, die die Radiotechniker an Hosenträgern aufhängten, bis zum Kunstkopfmikrophon oder der immersiven 3D-Audio-Technik. Vom Fernkopfhörer zu Lautsprechern, von Langwelle, Mittelwelle und Ultrakurzwelle bis zu DAB+, vom Detektor, der Röhrentechnik über Transistoren zu High-End-Geräten. Der Studiobau ermöglicht alle technischen Neuerungen und verkörpert so Radio-Geschichte und Fortschritt.
Jeder Saal muss eingespielt werden wie etwa eine Geige von Stradivari oder ein Cello von Amati, das Holz muss schwingen lernen. Unzählige Schallplatten- und Hörbuch-Auszeichnungen zeugen von seiner einzigartigen Akustik.
Volkskundliche Bedeutung
Der Studiobau von Radiomachern und Künstlern, liebevoll die „gute Fee“ genannt, stets Behausung und Ort für Journalisten, Autoren, Kunstschaffende, Wissenschaftler und der Hörerschaft. Ein Treffpunkt fest verankert in der Gesellschaft. Der BR Studiobau ist zentrales Herzstück einer stark regionalisierten Kulturlandschaft. Jahrzehntelang war der Hörfunk, nicht das Fernsehen, der gemeinschaftsbildende, Bildung und Demokratie fördernde, Identifikation stiftende, Generationen übergreifende Kristallisationspunkt bayerischer Lebens- und Wesensart im Konzert der Weltkultur. Der Studiobau steht als Denk- und Spielraum für „unitiy in diversity“ in all seinen auditiven Facetten.
In diesem Areal werden seit Jahrzehnten Dialekte gesammelt und aufbewahrt, Musikströmungen und Live-Sessions festgehalten und Radio Art und Klangkunst weiterentwickelt. Der Studiobau ist zentraler Treffpunkt für die Stadt- und Landbevölkerung, ein Ort der Begegnung und des Austauschs, der Unterhaltung, der Musik und der Kunst im weitesten Sinn, Identifikationsort und Heimat für alle Generationen.
Der Studiobau ist ein steinerner Ort für Debatte, Diskurs und Demokratie von Hannah Arendt bis Alexander Mitscherlich, Carl Amery, Wolfgang Hildesheimer, Hans Magnus Enzensberger oder Joachim Kaiser, Uwe Timm, Orhan Pamuk, Martin Walser oder Doris Dörrie. Historisch: Günter Grass‘ Lesung aus seinem noch unveröffentlichten Roman „Die Blechtrommel“! Der BR-Studiobau steht für Kreation, Vermittlung, Partizipation und Dokumentation von Musik, Sprache, Literatur und Kultur, als hochwertige Aufführungsstätte an dem mediengeschichtlich für Demokratie- und Bildungsvermittlung bedeutsamen Ort, am Rundfunkplatz 1 im Anschluss an das Stammhaus von 1929.
Ein Fazit
Der BR Studiobau ist ein historisches Bauwerk mit seiner hochwertigen, integralen Gebäudeausstattung, Radio-, Aufnahmetechnik und Bibliothek, dessen Erhaltung wegen seiner geschichtlichen, künstlerischen, städtebaulichen, wissenschaftlichen und volkskundlichen Bedeutung im Interesse der Allgemeinheit liegt, also ein Baudenkmal!
Anmerkungen
1 Studiobau des Bayerischen Rundfunks soll abgerissen werden,
Beitrag des Deutschen Kulturrates vom 11. Dezember 2023 zum Eintrag in die Rote Liste bedrohter Kultureinrichtungen (zuletzt abgerufen am 07.08.2024)
2 BR-Studiobau muss erhalten bleiben!,
Stellungnahme des Bundes Deutscher Architektinnen und Architekten vom 7. November 2023 (zuletzt abgerufen am 07.08.2024)
Text: Eva Demmelhuber und Claudia Mann
Redaktion: Martin Bredenbeck