Ehem. Nordsee-Sanatorium, heute „Haus des Gastes“ in Nebel auf Amrum
Ehem. Nordsee-Sanatorium, heute „Haus des Gastes“
Meeskwai 1 a
25946 Nebel auf Amrum
Erbaut: 1905
Entwurf: Paul Reese (1872–1943), Stadtbaumeister in Neumünster
Geschütztes Kulturdenkmal: nein
Status: akute Gefährdung
Um das „Haus des Gastes“ auf Amrum ist ein Streit entbrannt: Ein Neubau soll den historistischen Bau ersetzen. Dabei böte es sich an, das geschichtsträchtige Zeugnis der Bäderarchitektur um 1900 durch Renovierung und Erweiterung für die Zukunft attraktiv zu machen.
Unterstützung: Dr. Edgar Bierende, Tübingen; Manfred und Liane Kurfürst, Amrum; Anna Susanne Jost, Amrum
Zeugnis der Bäderarchitektur an der Nordsee in Bedrängnis
Als die Nord- und Ostseestrände im 19. Jahrhundert für den aufkommenden und bald immer größeren Gästezustrom hergerichtet wurden, boomte die Baubranche. Das hat sich bis heute nicht geändert, so dass ein steter Druck auf der vorhandenen Bausubstanz lastet. Mit dem heutigen „Haus des Gastes“ in Nebel auf Amrum könnte nun das letzte Stück Historismus am Ort verlorengehen.
Der Ort und seine Geschichte
Nebel, ein beschaulicher Ort auf der Insel Amrum, ist von niedrigen Kapitänshäusern mit Reetdächern geprägt. Die Höhendominante im Ort bildet die im Ursprung romanische Kirche St. Clemens. Unweit des Kirchhofes, inmitten des Kurparks, steht eine weiße Jugendstilvilla. Hier behandelte der Arzt und Sanitätsrat Dr. Johannes Ide (1859–1947) die Atemwegserkrankungen seiner Patienten. Seine Söhne Günter und Dr. Wilhelm Ide führten das Haus bis 1973 als Kindererholungsheim weiter, bevor der „Verein Lebenshilfe Lippstadt“ es zur Betreuung von Menschen mit geistiger Behinderung nutze und die Gemeinde es 1986 übernahm und als „Haus des Gastes“ einrichtete.
Die Villa ist kompakt gebaut; ihr hoher Turm scheint dem Kirchturm Konkurrenz machen zu wollen, der Kirchturm kam jedoch erst 1908 zur Kirche. Seither prägen die beiden Gebäude das Ortsbild an Land und vom Meer.
Gefährdungslage
Das Haus am Meer ist rauen Wetterbedingungen ausgesetzt. 2012 beschloss die Gemeinde Nebel daher die energetische Ertüchtigung und einen Ergänzungsbau, um es weiter öffentlich nutzen zu können. Die damalige Kostenschätzung überstieg die Möglichkeiten der Gemeinde und das Vorhaben wurde 2013 ad acta gelegt. Einige Jahre ruhte die Planung, bis 2019 der Beschluss gefasst wurde, einen Realisierungswettbewerb zum Abriss und Neubau eines „Haus des Gastes“ auszurufen. Die Unterhaltung des Gebäudes lief, aufgrund der Abrissplanung, auf Sparflamme. 2020 kürte die Gemeinde den Entwurf eines modernen eingeschossigen Pavillons als Wettbewerbssieger. Seither schlagen die Wogen in der Gemeinde hoch. Befürworter der historischen Substanz erwirkten ein Bürgerbegehren, welches am 11. Februar 2024 entschieden werden soll.
Abriss historischer Substanz – eine vertane Chance
Das ehemalige „Nordsee-Sanatorium“ ist das letzte erhaltene Sanatorium auf Amrum aus den Anfängen der Seebäderzeit um 1900. Vier christliche Seehospize in Norddorf und die Kur- und Gästehäuser in Wittdün sind nicht mehr erhalten. Nur das „Kurhaus Satteldüne“ (gegründet 1890), besteht als Klinikstandort weiter.
Das Ensemble des ehemaligen Sanatoriums, bestehend aus Jugendstilvilla, Bettenhaus im ehemaligen alten Pastorat von 1758 (1911 durch Brand zerstört) und Villa Krönert (1945 durch Bombenangriff zerstört) war zeitgemäß ausgestattet. Wandvertäfelungen und Originalmöblierung sind indes nicht mehr vorhanden. Das Treppenhaus mit seinen verzierten Geländerpfosten, Türstöcke und -beschläge sowie gusseiserne Heizkörper haben sich aus der Entstehungszeit bis heute erhalten. Aufgrund der vielfältigen Nutzung des Gebäudes gab es zahlreiche Umbauten: Anbauten und Fensteröffnungen wurden stark verändert, so dass die Denkmalfachbehörde Schleswig-Holstein keinen Denkmalwert mehr feststellen konnte. Aufgrund des geringen Grades an Originalsubstanz im Gebäude und wegen starker baulicher Überformung hat sich das Fachamt für Denkmalpflege gegen eine Unterschutzstellung entschieden.
Erhaltung auch ohne Denkmalstatus
Doch der Status als Denkmal allein hätte nicht vor Abriss geschützt. Nicht alle historischen Gebäude können so bewahrt werden. Der beste Schutz für historische Bausubstanz ist die Wertschätzung durch die Bevölkerung.
Das ehemalige Nordsee-Sanatorium besaß Ärztezimmer, Patientenzimmer, Speisesaal sowie Verwaltungs- und Wohnräume. Mit der Umnutzung zum „Haus des Gastes“ wurde die Kur- und Gemeindeverwaltung eingerichtet. Ein Lesezimmer, ein Veranstaltungssaal, ein Kinderspielraum und öffentliche Toiletten ergänzten das Raumprogramm. Zudem bot es Platz für die Wohnungen des Hausmeisters, des Rettungsschwimmers und andere Bedienstete der Gemeinde. So zeigte das Gebäude in seinem Lebenszyklus eine große Wandlungsfähigkeit. Sicherlich sind die Nutzenden dabei Kompromisse im Hinblick auf Zugänglichkeit und Raumprogramm eingegangen.
Ressourcenschonung
Es ist hinlänglich bekannt, dass die Baubranche einer der größten Verursacher von CO2 ist. Wir alle wissen oder ahnen zumindest, dass wir in dem Tempo wie bisher und ohne Recycling-Konzepte für Baustoffe nicht weiterbauen können. Derzeit findet ein Paradigmenwechsel im Bauen statt. Weg vom Neubau hin zum Umbau. Auf diesem Weg gibt es noch viele Hürden zu nehmen. Wie können geltende Normen an die Besonderheiten des „Bauens im Bestand“ angepasst werden? Welche Belange treten in den Hintergrund oder wie gelingt es, möglichst viele Belange zu berücksichtigen? Der Paradigmenwechsel in einer Berufsgruppe muss sich auch erst gesellschaftlich durchsetzen. Der Wert der sog. „Grauen Energie“ muss wirtschaftlich abgebildet werden, damit auch Anti-Nostalgiker Argumente für den Erhalt historischer Substanz bekommen.
Gerade, die sog. „Besonders erhaltenswerte Bausubstanz“ wird derzeit als Einzelobjekt schlecht durch behördliche Instrumente geschützt. Sie bietet aber die Chance, Abweichungen von den baurechtlichen Regelungen zuzulassen und – im Gegensatz zum Denkmal – sogar umfangreichere Eingriffe, bspw. für Brandschutz und Barrierefreiheit vorzunehmen. Mit einer fundierten Bestandsaufnahme und einer guten Planung können Bestandobjekte sowohl hinsichtlich der Nutzungsansprüche als auch technisch auf einen aktuellen Stand gebracht werden.
Die ganze Geschichte
Es ist eine Frage unserer Kultur des Bauens, ob und wie wir künftig mit dem Bestand umgehen. Das „Haus des Gastes“ prägt, wie viele historische Gebäude, das Ortsbild und ist ein Teil der Ortsgeschichte. Hier fanden Ortsansässige Arbeit, wurden Veranstaltungen abgehalten und Gäste betreut. Sicherlich verbinden viele Bewohner Erinnerungen mit dem Ort. Zudem ist es ein wichtiges Zeugnis der Baugattung Sanatorium, die so auf der Insel Amrum nicht mehr erhalten ist.
In seiner Funktion als Nordsee-Sanatorium birgt das Gebäude, wie viele dieser Art, auch eine dunkle Geschichte. Bisher ist nicht hinreichend erforscht, inwieweit der Arzt Dr. Johannes Ide, der sich mit seiner Publikation „Das Nordseeklima als Heilmittel” im Deutschen Reich einen Namen machte, die Persönlichkeitsrechte seiner Patienten achtete. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Klinik zum Kindererholungsheim, in vielen solcher Heime herrschte bis in die 1980er Jahre hinein ein strenges Regiment und Misshandlungen waren an der Tagesordnung. Das „Nordseesanatorium Ide“ wird im Heimverzeichnis Schleswig-Holstein der Initiative Verschickungskinder e.V. geführt, die sich mit der Aufarbeitung des Unrechts an Kindern und Jugendlichen in Heimunterkünften befasst. In diesem Zusammenhang ist der Ort möglicherweise für Betroffene wichtig, um ihre Erinnerungen aufzuarbeiten.
Zusammenfassend: Es gibt viele wichtige Gründe, das Bürgerbegehren zum Erhalt des Gebäudes zu unterstützen und jenseits des Denkmalschutzes, dieses Gebäude zu bewahren und für die Zukunft fit zu machen.
Am 11. Februar 2024 fand der Bürgerentscheid zum „Haus des Gastes“ statt. 333 Einwohnerinnen und Einwohner der Gemeinde Nebel stimmten für den Abriss des Altbestandes und einen Neubau; 219 Menschen sprachen sich für den Erhalt des historischen Gebäudes aus. Diese knappe Entscheidung, bei einer Wahlbeteiligung von rd. 65 % der Wahlberechtigten Bürger, schmerzt die Mitglieder der engagierten Bürgerinitiative. Das Ergebnis der demokratischen Wahl kann nun als Grundlage für die Gemeinde dienen, den Neubau umzusetzen. Bleibt zu hoffen, dass der Neubau qualitativ hochwertig wird und durch eine nachhaltige Bauweise überzeugt, wie die Gemeinde verspricht. Dem Ort Nebel wünschen wir, dass sich die Bewohner wieder annähern und der Neubau in der Bevölkerung Akzeptanz erfährt.
Text: Corinna Tell
Redaktion: Martin Bredenbeck