Katholische Kirche St. Laurentius
Augustusstraße 24
45721 Haltern am See
Die Laurentiuskirche in Haltern am See ist eine von mehreren 2025 abgerissenen Kirchen in Deutschland. Nicht denkmalgeschützt, mit erheblichem Sanierungsstau und einer schrumpfenden Kirchengemeinde steht die 1953/54 errichtete Pfarrkirche damit paradigmatisch für das Schicksal einer ganzen Baugattung. Ein Nachruf auf „eine von vielen“ und ein Plädoyer für einen offenen Dialog im Umgang mit einem der vielseitigsten Zweige unseres baukulturellen Erbes.
Die zwischen 1950 und 1970 in Deutschland in atemberaubender Stückzahl errichteten Kirchengebäude der Nachkriegsmoderne prägen noch heute das Gesicht vieler Städte und Siedlungen in Deutschland. Wachsende oder sich neuformierende Gemeinden beider großer christlichen Konfessionen schufen in einem finanziellen Kraftakt und häufig unter Aufbringung von herkulischer Eigenleistung der Beteiligten teils ikonische Bauwerke. Als schützende Zelte, wehrhafte Burgen oder aufgetürmte Felsgerippe haben sich inzwischen eine ganze Reihe von Nachkriegskirchen fest im Kanon der Kunst- und Architekturgeschichte verankert.
Gleichzeitig gibt es eine Vielzahl von Kirchengebäuden mit weniger Strahlkraft aus dieser Zeit. Häufig nicht denkmalgeschützt, treten diese im Regelfall in Kombination mit anderen öffentlichen Gebäuden wie Schulen als das städtebauliche Zentrum reiner Wohnquartiere der Nachkriegszeit auf. Ihre Architektur kann piefig wirken, ihre Ausstattung ist häufig sukzessive gewachsen und ohne übergeordnete Gestaltung. Mit Blick auf anstehende und dringend notwendige Grundsanierungen nach Errichtung in Kombination mit einer überalterten Gemeinde führt dies meist zur Standortaufgabe von Nachkriegskirchen zu Gunsten historischer oder historistischer Gotteshäuser.
Die seit Jahren schwelende Debatte um überzählige Kirchengebäude hat sich inzwischen selbst überholt: Viele Kirche sind bereits geschlossen, tauchen auf Immobilienportalen auf oder werden abgerissen. Stellvertretend für diese Kirchen ein Nachruf auf die im Februar 2025 abgerissene Laurentiuskirche in der kleinen Stadt Halten am See am nördlichen Rand des Ruhrgebiets.
Baubeschreibung
Die Laurentiuskirche in Halten am See gehörte auf den ersten Blick nicht zu den aufregendsten Vertreterinnen ihrer Baugattung. Der Architekt Otto Bongartz (1895-1970) schuf in einem Neubaugebiet am Rande der Stadt einen längsgerichteten Mauerwerksbau in einer traditionell-konservativen Architektursprache. Das Gebäude setzte sich aus einem großen Kirchenschiff mit Orgelempore im Westen und separatem Chor mit parabolischer Chorapsis im Osten zusammen. In der nordwestlichen Ecke des Bauwerks schloss leicht abgerückt ein Glockenturm mit Werktags- und Turmkapelle an. Das steile Satteldach der Kirche war mit Ziegeln gedeckt und im Bereich des Haupteingangs nach Westen zu beiden Seiten weit abgeschleppt. Über dem Hauptportal in der zentralen Achse befand sich ein großes Rosettenfenster mit Kunstverglasung. Auch das Oberlichtband an der südlichen Langhauswand und die kleinen Rosettenfenster im Bereich des, an der nördlichen Langhauswand anschließenden, Seitenschiffs waren mit Kunstverglasungen gestaltet. Der mit Schiefer gedeckte Chor wurde nach Norden durch eine raumhohe Betonverglasung indirekt beleuchtet.
Die Fassade der Kirche war gestalterisch durch die großflächige Verwendung von Sichtziegelmauerwerk geprägt, was dem Gebäude einen wehrhaften und beschützenden Ausdruck verlieh. Verstärkt wurde diese Emotion durch das Verhältnis von Wandfläche zu Öffnungen und die gestaucht wirkenden Eingangsportale. Das statische System des Gebäudes wurde in der Außenansicht am Raster von weiß gestrichenen Betonstützen und Rahmen der Kunstverglasungen im Süden und Norden des Gebäudes ersichtlich. Der angebaute Glockenturm besaß im Turmfreigeschoss unter einem Pyramidendach Klangarkaden aus Beton.
Kirchenschiff mit den charakteristischen Stahlbetonrahmenbindern in Blickrichtung Osten (2018). Bild: W.Strickling, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
Innenraum
Der Inneneindruck des Gebäudes wurde maßgeblich durch die am First abgerundeten Stahlbetonrahmenbinder geprägt. Der Spannungszustand des Werkstoffs Beton übertrug sich auf die sonst reduzierte Innenraumarchitektur. Die dynamische Wirkkraft des Betons wurde durch die flächige Verwendung von Sichtziegelmauerwerk im restlichen Kirchenschiff weiter gesteigert. Die Betonbinder des darüber liegenden Dachwerks gliederten die holzverkleidete Deckenuntersicht. Auf einem mit Natursteinplatten verkleidetem Fußboden stand ein schlichtes Holzgestühl. Neben den Kunstverglasungen wurde der Innenraum durch einen keramischen Kreuzweg eines unbekannten Künstlers sowie regelmäßig angeordneten Hängeleuchten und Wandkerzenleuchtern geprägt. Der Altarbereich im Osten der Kirche war um mehrere Stufen erhöht und mit einem Schieferboden versehen. Hinter dem freistehenden Altartisch aus Naturstein befanden sich ein aufwendig gestalteter Tabernakel aus Metall sowie ein Ambo eines unbekannten Künstlers. In der zentralen Chorapsis hing ein vergoldetes Hängekreuz vor geschlossener Ziegelwand.
Ausstattung
Von der künstlerischen Ausstattung verdienen vor allem die drei Eingangsportale der Kirche besondere Erwähnung. Der Haupteingang nach Westen sowie die beiden Nebeneingänge im Nord- bzw. Südwesten des Gebäudes wurden zur Erbauung der Kirche 1953-54 von dem Haltener Künstler Josef Schlüter mit biblischen Szenen (Portal Nordseite: Mann und Kind, Portal an der Südseite: Gleichnis vom reichen Prasser und armen Lazarus, Hauptportal: Baum, Krone, Brotgaben) in Metall ausgeführt. Zusammen mit den um 1962 vom Glaskünstler Paul Weigmann (1923-2009) angefertigten Kunstverglasungen in Kirchenschiff und Chor lässt sich der Kirche vor Aufgabe eine qualitätvolle und sukzessiv gewachsene Ausstattung der 1950er und 1960er Jahre attestieren.
Erhöhter Altarbereich mit dem vergoldeten Hängekreuz vor geschlossener Chorapsis (2018). Bild: W.Strickling, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons
Baugeschichtliche Bedeutung
Der Architekt Otto Bongartz war in der Nachkriegszeit für den Neu- und Wiederaufbau von zahlreichen Kirchengebäuden in Nordrhein-Westfalen verantwortlich. Als sein bedeutendster Beitrag zum Kirchenbau der Moderne zählt aber die zwischen 1929-30 in Aachen errichtete Heilig Geist Kirche. Das Ensemble aus weiß geputzten und gestaffelt angeordneten Kuben mit Turm besitzt einen einschiffen Kirchenraum, welcher aufgrund der Verwendung von Eisenbeton stützenfrei ausgeführt werden konnte. Die Heilig Geist Kirche steht heute für eine gemäßigte Moderne, deren avantgardistischer Anspruch beispielsweiße wesentlich geringer ausfällt als der damals zweitplatzierte Entwurf „Mauer“ von Rudolf Schwarz und Hans Schwippert aber Bezüge zur Architektursprache von Bongartz in den 1950er und 1960er Jahren erkennen lässt.
Nicht jede Nachkriegskirche kann als Baudenkmal in der Denkmalliste des jeweiligen Bundeslandes aufgenommen werden. Die schiere Anzahl an Kirchengebäuden in Kombination mit personell abgemagerten Unteren Denkmalschutzbehörden und Fachämtern macht dies unmöglich. Dies ist aber auch gar nicht zwingend erforderlich, da die Denkmallisten immer nur eine Auswahl besonders typischer oder bedeutsamer Gebäude darstellen können. Gleichzeitig ist es offensichtlich, dass auch Kirchen wie St. Laurentius auf dem Haltener Römerberg eine große kulturhistorische Bedeutung besitzen. Als selbstbewusste Zeichen erstarkender Gemeinden in einem nach dem 2. Weltkrieg aufgewühlten Land wurden vielfältigste architektonische Lösungen von den begabtesten Architektinnen und Architekten der Zeit gefunden. Nun sind diese Gebäude durch den Schwund der Kirchenmitglieder gefährdet. Als gemeinschaftsbildende und identitätsstiftende Orte sind sie aber oftmals für die Anwohnenden sehr wichtig. Daher erscheint es geboten, dass die katholische und evangelische Kirche in Deutschland untereinander und auch mit der säkularisierten Mehrheitsgesellschaft in einen offenen Dialog treten, um die zukünftige Nutzung von Nachkriegskirchen zu sichern.
Im Falle der St. Laurentiuskirche entsteht an dem Standort der „Laurentius-Campus“, ein Gelände mit Pfarrzentrum, Quartierstreff und Altenheim. Eine fruchtbare Mischung, die sicherlich auch unter Erhalt des Bestandsgebäudes möglich, ja sogar gewinnbringend und identitätsstiftend für den neuen Campus gewesen wären. Der Blick ins nur 12 Kilometer entfernte Dülmen mit den Kirchwohnungen Maria Königin zeigt in vorbildhafter Weise, wie das auch im nicht denkmalgeschützten Baubestand und unter Erhalt der wesentlichen Merkmale von Architektur und Ausstattung einer Nachkriegskirche möglich ist.
Rosettenfenster im Westen der Kirche, aus der Werkstatt des Glaskünstlers Paul Weigmann (2018). Bild: W.Strickling, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons