Stellungnahme zur Open-Access-Strategie der cOAlition S (sog. Plan S vom 4. September 2018)
Wie viele andere Geistes- und Kulturwissenschaften ist das Fach Kunstgeschichte in hohem Maße daran interessiert, Forschungsergebnisse möglichst breit zugänglich zu machen und öffentlich zu vermitteln. Im Laufe ihrer Geschichte hat die Disziplin dazu ein breites Spektrum an Publikationsformen und Vermittlungsformaten entwickelt. Neben Buch- und Aufsatzveröffentlichungen, die insbesondere im Segment des Ausstellungskatalogs und des wissenschaftlich fundierten Sachbuchs eine breite Leserschaft erreichen, nutzen Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker vielfältige andere Vermittlungsformen wie Ausstellungen oder Führungen. Die Relevanz kunsthistorischer Forschung muss sich nicht zuletzt daran messen lassen, wie es ihr gelingt, über die Wissenschaft hinaus zu einer vertieften und reflektierten Sicht auf Kunstwerke und Bilder beizutragen.
Die Kernanliegen der vielfältigen Initiativen, die sich um den Open-Access-Gedanken verdient machen, werden daher von Kunsthistorikerinnen und Kunsthistorikern nicht nur geteilt, sondern oftmals aktiv unterstützt. Ganz in diesem Sinne ist das Fach mit zahlreichen konkreten Projekten hervorgetreten, um neue Publikationswege im Sinne des Open-Access-Gedankens zu etablieren. Zugleich beteiligen sich Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker an der Suche nach angemessenen Lösungen, um die teils erheblichen Hemmnisse bei der wissenschaftlichen Nutzung urheberrechtlich geschützter Kunstwerke und Bilder abzubauen, ohne dabei die berechtigten Interessen von Rechteinhabern aus dem Blick zu verlieren. Der Verband Deutscher Kunsthistoriker bekennt sich daher zur Open-Access-Idee, wo immer diese den Bedürfnissen und Ansprüchen der Wissenschaft und unserer Leserinnen und Leser gerecht wird, sofern sich die freie Zugänglichkeit im Rahmen des geltenden Rechts umsetzen lässt und keine unzumutbaren Schwierigkeiten aufwirft.
So sehr der Verband Deutscher Kunsthistoriker den freien Zugang zu Veröffentlichungen zum Zwecke des Wissensaustauschs und des Erkenntnistransfers unterstützt, wirft aus seiner Sicht die jüngste Initiative mehrerer europäischer Forschungsförderorganisationen, die am 4. September 2018 von der cOAlition S als Plan S publiziert wurde, wichtige Fragen auf, die einer eingehenden Diskussion bedürfen:
- Die Entscheidung der in der cOAlition S zusammengeschlossenen Organisationen, die Finanzierung von Forschungsprojekten fortan mit der zwingenden Auflage zu verknüpfen, dass die Ergebnisse ausschließlich im Open Access zugänglich gemacht werden, könnte insbesondere das Fach Kunstgeschichte vor erhebliche Probleme stellen.
Kunsthistorische Publikationen weisen insofern in urheberrechtlicher Hinsicht eine besondere Komplexität auf, als sie in der Regel zusätzlich zum Text Bildmaterial enthalten, das dem Urheberrecht und/oder dem Lichtbildschutz unterliegt. Im Rahmen der sog. Wissenschaftsschranke des Urheberrechts sind Bildzitate (§ 51 UrhG) zwar von der Genehmigungspflicht ausgenommen, doch greift diese Regelung auch nach der jüngsten Reform (UrhWissG) keineswegs in allen Fällen. In der Praxis kommen Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker auch weiterhin oftmals nicht umhin, Genehmigungen für den Abdruck von Bildern einzuholen und dabei Vergütungen an die Rechteinhaber zu entrichten. Die Höhe dieser Vergütungen orientiert sich maßgeblich an der Höhe der Druckauflage jener Publikation, in der das betroffene Bild erscheinen soll. Während die Kosten bei wissenschaftlichen Veröffentlichungen mit niedriger Auflage bisher überwiegend in einem kalkulierbaren Rahmen blieben, zeigen erste Erfahrungen mit digitalen Publikationen im Open Access, dass die globale freie Verfügbarkeit von Inhabern der Bildrechte oftmals als Auflage in unbegrenzter Höhe verstanden wird und zu unverhältnismäßig hohen Vergütungsforderungen Anlass gibt. Da nach der Rechtsprechung des EuGH das Verlinken und Einbetten („Embedding“) einmal im Internet frei eingestellter Bilder ohne weitere Zustimmung des Rechteinhabers und ohne Vergütung zulässig ist (EuGH C-348/13, Beschluss vom 21.10.2014), können sich Rechteinhaber veranlasst sehen, die entgehenden Vergütungen für alle mutmaßlichen weiteren Nutzungen bereits bei der ersten Veröffentlichung in Rechnung zu stellen.
Die Einbindung von Bildern, die häufig für den Nachvollzug einer Argumentation unverzichtbar ist, führt unter diesen Bedingungen im schlimmsten Fall zu Kosten, die in keinem Verhältnis zu den sonstigen Aufwendungen stehen. Ein zusätzliches Problem erwächst aus dem Ansinnen einiger Rechteinhaber, die Nutzungsrechte nur zeitlich befristet zu erteilen, um später unter Berücksichtigung der faktischen Nachfrage (z. B. der Anzahl der Seitenaufrufe) gegen erneute Vergütung eine Verlängerung der Nutzungsrechte zu verlangen.
DIe skizzierten Schwierigkeiten betreffen in besonderer Weise die moderne und zeitgenössische Kunst, mithin jene Kunstwerke und Bilder, deren Urheber noch nicht länger als 70 Jahre tot sind. Sie treten allerdings auch bei der wissenschaftlichen Beschäftigung mit älteren Objekten auf, da deren Abbildungen oftmals dem Lichtbildschutz (§ 72 UrhG) unterliegen. Verschärft wird diese Problematik durch Versuche mancher Eigentümer von Kunstwerken, die Nutzung oder Verbreitung von Abbildungen nach ihren Werken unter Verweis auf Eigentums- und Hausrechte einzuschränken oder gar zu unterbinden (vgl. das Urteil des OLG Stuttgart vom 31.05.2017, Az 4 U 204/16, im Streit um Abbildungen nach einem Objekt der Reiss-Engelhorn-Museen der Stadt Mannheim; die Streitfrage wird am 31.10.2018 Gegenstand einer Verhandlung vor dem BGH sein).
Es ist daher damit zu rechnen, dass kunsthistorische Publikationen, für die aufgrund von Förderbestimmungen zwingend ein Open-Access-Format zu wählen ist, vor gravierende rechtliche und finanzielle Probleme gestellt werden. Sie könnten in Zukunft häufiger an unverhältnismäßig hohen Vergütungsforderungen für Bildrechte scheitern oder unter dem inakzeptablen Vorbehalt stehen, dass die erforderlichen Nutzungsrechte für Abbildungen nur temporär erteilt werden und daher auch die Verfügbarkeit im Open Access nur vorübergehend sichergestellt werden kann. - Der Plan S der cOAlition S zielt auf eine grundlegende und nachhaltige Umgestaltung der Publikationslandschaft in den Wissenschaften. Die Umsetzung des Plans wird zur Folge haben, dass etablierte Publikationsformate und -orte (d. h. Zeitschriften, Buchreihen, Verlage etc.), die nicht selbst einen Wechsel zu Open-Access-Publikationen vollziehen, an Bedeutung verlieren werden und mittelfristig keine Fortsetzung finden. Damit werden sich auch für jene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die nicht aufgrund einer Drittmittelförderung den im Plan S festgelegten Regeln unterliegen, die Optionen für Veröffentlichungen deutlich verändern. Sofern sich weitere Forschungsförderorganisationen und Institutionen der cOAlition S anschließen, wird sich dieser Prozess beschleunigen und zu tiefgreifenden Veränderungen führen.
Der Verband Deutscher Kunsthistoriker sieht die erheblichen positiven Effekte und Chancen, die ein solcher Transformationsprozess birgt. Allerdings könnte er insbesondere für die zahlreichen Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker, die nicht in Universitäten oder Forschungsinstituten beschäftigt sind, den Zugang zu attraktiven und renommierten Publikationsorganen erheblich erschweren. Die Kosten, die auch weiterhin für die verlegerische, editorische und redaktionelle Betreuung von Publikationen anfallen werden, dürften zukünftig in vielen Fällen mittels Publikationsgebühren (article processing charges, APC) gedeckt werden, die durch die Autorinnen und Autoren zu tragen sind. Diese Gebühren werden all jene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vor Probleme stellen, die auf keine institutionelle Unterstützung zurückgreifen können. Dies dürfte in besonderem Maße Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker in vielen kleineren Museen oder Denkmalpflegeeinrichtungen sowie die freiberuflich Tätigen betreffen. Bisher tragen diese Kolleginnen und Kollegen in hohem Maße zur Forschung im Fach Kunstgeschichte bei; zukünftig könnten sie sich in die Rolle von Wissenschaftlern „zweiter Klasse“ gedrängt sehen, denen die angesehensten Veröffentlichungsorte aufgrund von Publikationsgebühren, die ihr Arbeitgeber nicht zu finanzieren bereit ist, faktisch verwehrt bleiben. - Der Transformationsprozess der Publikationslandschaft könnte zudem zur Folge haben, dass es zumindest vorübergehend paradoxerweise schwieriger werden wird, die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung auch einer breiteren Öffentlichkeit zu vermitteln. Mit der skizzierten Transformation steht der Markt für wissenschaftlich fundierte, seriöse Sachbücher, die in weithin anerkannten Publikumsverlagen erscheinen, vor großen Herausforderungen. Damit ist die Zukunft eines Teils der Verlagslandschaft ungewiss, der für das Fach Kunstgeschichte wie für andere Geistes- und Kulturwissenschaften noch immer von großer Bedeutung ist. Zumindest jene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die aufgrund von Förderbestimmungen den Regelungen des Plan S folgen müssen, werden Ergebnisse ihrer Forschung nicht mehr auf diesem Wege einem breiten Publikum vermitteln können. Sie werden zudem auch als Autorinnen und Autoren für Ausstellungskataloge (zumindest in der heute bekannten Form als käuflich erwerbbares Druckerzeugnis) entfallen, sofern sie auf diesem Wege Ergebnisse aus einem geförderten Forschungsprojekt zu dokumentieren beabsichtigen.
Der Verband Deutscher Kunsthistoriker begrüßt angesichts der skizzierten offenen Fragen ausdrücklich, dass die Deutsche Forschungsgemeinschaft dem Plan S der cOAlition S bisher nicht beigetreten ist. Noch lässt sich nicht mit hinreichender Klarheit ermessen, welche Folgen und möglicherweise unbeabsichtigten Nebeneffekte die im Plan S festgelegten Richtlinien für die Publikationspraxis einzelner Disziplinen nach sich ziehen könnten. Es erscheint uns daher dringend geboten, diese Effekte zunächst genauer in den Blick zu nehmen, bevor über die weitere institutionelle Implementierung von Open Access entschieden wird. Gerade für die zukünftige Akzeptanz der berechtigten und wichtigen Anliegen des Open-Access-Gedankens wird es von erheblicher Bedeutung sein, dass dessen Umsetzung auch fachspezifische Bedarfe und Problemlagen auf angemessene Weise berücksichtigt.
27. September 2018
gez.
Prof. Dr. Johannes Grave (Repräsentant der Berufsgruppe Hochschulen und Forschungsinstitute) |
Prof. Dr. Kilian Heck (Erster Vorsitzender) |