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Stellungnahme zum geplanten Fächer­verbund „Kunst, Musik und Werken“ an den Grund­schulen in Bayern

25.04.2024

Stellungnahme des Arbeits­kreises Kunst­geschichte und Bildung im Deutschen Verband für Kunst­geschichte e. V. zum geplanten Fächer­verbund „Kunst, Musik und Werken“ an den Grund­schulen in Bayern

 

An die Bayerische
Staatsministerin für Unterricht und Kultus
Frau Anna Stolz
Salvatorstraße 2
80333 München

 

Sehr geehrte Frau Staatsministerin,

seit der Veröffentlichung der Ergebnisse der jüngsten Pisa-Erhebung im De­zember 2023 besteht wieder einmal bildungspolitischer Handlungsdruck. Einigkeit herrscht darüber, dass die Fähigkeiten von Schülerinnen und Schülern in Deutschland in den Fächern Deutsch und Mathematik dringend verbessert werden müssen. Strittig ist jedoch, welche Strategien verfolgt werden sollen. Der Freistaat Bayern will als Reaktion ab dem kommenden Schuljahr an Grundschulen die Zahl der Deutsch- und Mathestunden um vier Stunden erhöhen. Damit das Unterrichtspensum insgesamt nicht an­steigt, bekommen Schulen die Möglichkeit, in den Fächern Kunst, Musik und Werken entsprechende Kürzungen vorzunehmen. Das anfängliche Missverständnis, diese drei Fächer sollten zusammengelegt werden, wurde korrigiert: Sie sollen in einem Fächerverbund mit einer gemeinsamen, redu­zierten Stundenzahl zusammengefasst und abwechselnd unterrichtet wer­den. In der jetzigen Planung bleibt das Fach Kunst zwar erhalten, nicht aber seine verlässliche Verankerung in den Bildungsbiografien der Schülerinnen und Schüler in Bayern. Es entsteht dabei auch der Eindruck, dass ein Fach wie Kunst als Verfügungsmasse betrachtet wird und vermeintlich wichti­geren Fächern leichthin geopfert werden kann.

Die Mitgliederversammlung des Deutschen Verbandes für Kunstgeschichte am 15. März 2024 hat den Arbeitskreis Bildung im Verband aufgefordert, dagegen Widerspruch zu formulieren und zu begründen.

Wir möchten nachdrücklich die Bedeutung des Faches Kunst in den Bil­dungsbiografien auch der Grund­schul­zeit betonen. Nur wenige Gründe grei­fen wir im Folgenden heraus.

Das Schulfach Kunst verbindet Praxis und Rezeption. Ästhetisch-bildneri­sches Tun beruht auf sensorischer und motorischer Aktivität, deren Kombi­nation nachweislich kognitive und memorierende Prozesse stärkt. Die sen­sorischen und motorischen Praktiken unterscheiden sich, je nachdem ob musiziert, plastisch gearbeitet oder gemalt und gezeichnet wird; die Sinne (Hören, Tasten, Sehen) sind nicht beliebig austauschbar, daher kann die Schulung in der einen Praxis die andere nicht ersetzen. Bildnerisches Ge­stalten trägt ebenso wie Musizieren und Werken auf jeweils eigene Weise wesentlich zur Weiterentwicklung des Gehirns bei. Jede Einsparung im Be­reich dieser Ausbildung geht zulasten der Entwicklung des Gehirns und da­mit letztlich auch zulasten der Kompetenzen in Deutsch und Mathematik.

Kunst ist nicht nur ein Entlastungsfach. Zentral zielt dieses Schulfach – je­denfalls wenn es professionell und nicht fachfremd unterrichtet wird – auf die freie Entfaltung von Kreativität, verstanden als ein Überschreiten des bereits Bekannten und/oder als ein Entwickeln von Neuem.

Bildnerisch-gestalterisches Handeln und die Auseinandersetzung mit visu­ellen und künstlerischen Artefakten führen zum Erwerb von Kompetenzen, die zur Orientierung in der Informationsgesellschaft von elementarer Be­deutung sind. Doch es geht noch um mehr. Auch im Grundschul­alter sollen Bildungs­prozesse die Begeg­nung mit Kunstwerken, in Reproduktionen im Klassen­raum, aber vor allem auch in Museums­besuchen und Erkundungen der gebauten Umwelt, ermöglichen. Hier erfüllt der Kunstunterricht eine wichtige Rolle für das Eröffnen der menschenrechtlich verankerten kultu­rellen Teilhabe, die auch die Teilhabe am kulturellen Erbe umfasst, und ist daher nicht ersetzbar.

Beide Bereiche, Produktion wie die Rezeption, verbindet die Sprache. Ge­rade das Fach Kunst kann ein wichtiger Akteur in sprach­sensibler Bildung sein, wenn – mit entsprechender Aus- und Fortbildung der Lehrkräfte – das Tun der Schülerinnen und Schüler sprachlich begleitet wird, Bilder mit­einander besprochen werden und ein Wortschatz für ästhetische und bau­kulturelle Belange aufgebaut wird. Die kulturelle, diver­sitäts­sensible Sprachfähigkeit kann zudem für ein demokratisches und friedliches Zusam­menleben kaum überschätzt werden.

Ebenso haben das Verständnis und das kompetente Wahrnehmen von Bil­dern heutzutage eine nicht zu überschätzende Bedeutung für die Demokra­tie. Die permanente Verfügbarkeit von Bildern im Alltag, ob im öffentlichen oder digitalen Raum, erfordert schon früh Wahrnehmungs­kompetenzen von Kindern, um Realität und Manipulation unter­scheiden zu können. Diese Ent­wicklungen werden durch KI immer schneller und dringlicher. Deshalb ist es unverständ­lich, dass die Landesregierung des Freistaats Bayern beab­sichtigt, entgegengesetzt mit einer Kürzung der im Schul­unterricht verfüg­baren Zeit zum Erlernen der dafür not­wen­digen Fähigkeiten zu reagieren.

Die Pisa-Studie hat zum wiederholten Male herausgestellt, dass die her­kunftsbedingten Unterschiede in Deutschland nach wie vor überdurch­schnittlich hoch ausgeprägt sind; dabei spielen sozioökonomische Unter­schiede eine erhebliche Rolle. Gerade die Be­geg­nung mit Kunst, (bau-)kul­turelle Bildung und das Kennen­lernen von öffentlichen Institutionen wie Museen sind in Deutschland noch immer weitgehend das Privileg bildungs­­reicher Schichten. Das Erfordernis der Bildungs­gerechtig­keit nimmt hier die Schule in die Pflicht.

Hierfür muss die Politik die angemessenen Rahmen­bedingungen sicher­stellen – und kann die Entscheidung, ob das Fach Kunst in den Biografien von Schülerinnen und Schülern vorkommt, nicht den allein durch Ressour­cen begründeten und damit sachfremden Entscheidungen der einzelnen Schulen überlassen.

 

Mit freundlichen Grüßen

Prof. Dr. Kerstin Thomas
Erste Vorsitzende des Deutschen Verbandes für Kunstgeschichte e.V.

Prof. Dr. Barbara Welzel
Arbeitskreis Kunstgeschichte und Bildung im Deutschen Verband für Kunstgeschichte e.V.

 

Kopie in elektronischer Fassung an:

  • Fraktionsvorsitzende der Fraktionen im Bayerischen Landtag
  • Mitglieder des Ausschusses für Bildung und Kultus des Bayerischen Landtags