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Stellungnahme zur geplanten Novellierung des bayerischen Hochschulrechts

Stellungnahme des Verbandes Deutscher Kunsthistoriker e.V. und der Gesellschaft für Musikforschung e.V. zur geplanten Novellierung des bayerischen Hochschulrechts,
gerichtet an Ministerpräsident Markus Söder, Staatsminister Bernd Sibler und den Vorsitzenden des Ausschusses für Wissenschaft und Kunst Robert Brannekämper

08.12.2020 

Mit der geplanten Novellierung des Hochschulrechts strebt das bayerische Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst eine grundlegende Umgestaltung der Rahmenbedingungen an, unter denen an Hochschulen in Bayern gearbeitet wird. Angesichts der Bedeutung, die den bayerischen Universitäten und Hochschulen innerhalb des deutschen Wissenschaftssystems zukommt, wird eine solche fundamentale Veränderung auch für die Forschung und Hochschullehre über die Grenzen Bayerns hinaus von großer Relevanz sein.

Der Verband Deutscher Kunsthistoriker und die Gesellschaft für Musikforschung teilen die Bedenken, die in dem Offenen Brief von Professorinnen und Professoren an bayerischen Universitäten zur geplanten Hochschulreform sowie seitens der Initiative Geistes- und Sozialwissenschaften formuliert wurden. Sowohl die geplanten Eingriffe und Neuregelungen, wie sie sich derzeit in dem sog. Eckpunkte-Papier abzeichnen, als auch das Verfahren, mit dem die Novellierung entworfen, beraten und umgesetzt wird, werfen aus unserer Sicht Fragen auf. Die genannten Stellungnahmen aus der bayerischen Wissenschaft zeigen nachdrücklich, dass der vom Staatsministerium angestrebte Prozess einer breiten und partizipativen Beteiligung von Mitgliedern der verschiedenen Statusgruppen an den Hochschulen bedarf. Das Staatsministerium sollte daher ein genuines Interesse daran haben, sich die notwendige Zeit zu nehmen und eine Diskussion zu ermöglichen, die offen ist für die vielfältigen Perspektiven, die dem Wissenschaftssystem eigen sind.

Fünf vordringliche Probleme seien im Folgenden kurz erläutert:

  1. Sowohl der Offene Brief von Professorinnen und Professoren als auch die Initiative Geistes- und Sozialwissenschaften haben bereits darauf hingewiesen, dass wichtige Teile des Eckpunkte-Papiers mit der eingangs formulierten Verpflichtung auf „das Ideal der zweckfreien Erkenntnis“ nur schwer vereinbar erscheinen. Das Papier lässt vermuten, dass angestrebt wird, das Leitbild der „unternehmerischen Hochschule“ nicht nur für die Governance-Strukturen zugrunde zu legen, sondern insbesondere auch auf Fragen der Mittelverteilung zu beziehen. Indem das Eckpunkte-Papier mehrfach die Bedeutung des Transfers und des ökonomischen „Mehrwerts“ von wissenschaftlicher Forschung betont und auch eine Operationalisierung dieses Kriteriums suggeriert, wirft es die Frage auf, wie dem besonderen Wert der Grundlagenforschung innerhalb eines solchen Rahmens weiterhin angemessen Rechnung getragen werden kann. Zwar formuliert das Eckpunkte-Papier nicht explizit das Anliegen, die Gewichtung der Relevanz einzelner Wissenschaftsbereiche und Fächergruppen zu verändern, es legt aber die Implementierung von Kriterien nahe, die erhebliche Verschiebungen in der Förderung verschiedener Disziplinen und Fachkulturen zur Folge haben können. Insgesamt vermissen wir in dem Eckpunkte-Papier eine differenziertere Abschätzung der Folgen und Nebeneffekte der skizzierten Neuregelungen.
  2. Das Eckpunkte-Papier erlaubt derzeit nicht zu erkennen, wie sich der angestrebte „Mehrwert für Staat Wirtschaft und Gesellschaft“ verlässlich und differenziert bemessen ließe. Ein erheblicher Teil der Leistungen von Hochschulen schlägt sich indirekt, dafür aber umso wirkungsvoller als Mehrwert für Gesellschaft und Wirtschaft nieder. Mit den der Kultur wie den Wissenschaften innewohnenden und nicht direkt auf ihre „Mehrwerte“ ausgerichteten Eigenlogiken schafft der Staat zudem – wie nicht von ungefähr im Grundgesetz verbindlich geregelt ist – jene Freiräume, in denen sich eine Gesellschaft über sich selbst verständigt. Über die Sicherung eines solchen Aushandlungsraumes stabilisiert sich staatliche Macht – und zwar auch in der Möglichkeit der Kritik – als eine gesellschaftlich legitimierte. Insbesondere die Geistes- und Kulturwissenschaften liefern durch Ausbildung und Forschung überdies einen wichtigen Beitrag zur kulturellen Landschaft auch jenseits des akademischen Bereichs, deren erhebliche volkswirtschaftliche Bedeutung uns gerade in der Corona-Pandemie nochmals eindrucksvoll vor Augen geführt worden ist. Nicht zuletzt sind Neuregelungen, die sich am Kriterium des „Mehrwerts“ ausrichten, an einem Grundsatz zu messen, den das Bundesverfassungsgericht als den der Wissenschaftsfreiheit zugrundeliegenden Leitgedanken charakterisiert hat, als es festhielt, „daß gerade eine von gesellschaftlichen Nützlichkeits- und politischen Zweckmäßigkeitsvorstellungen befreite Wissenschaft dem Staat und der Gesellschaft im Ergebnis am besten dient“ (BVerfGE 47, 327).
  3. Beunruhigend ist der latente Widerspruch in der Aussage, dass „Wissenschaft […] sich zwar nicht numerisch bewerten“ lasse, „es […] aber viele Aspekte wissenschaftlicher Exzellenz“ gebe, „die Niederschlag in vergleichbaren Indizes finden, die für eine erfolgsorientierte (Teil-)Finanzierung genutzt werden kann und muss“ (S. 8). Die syntaktisch unklare Gestalt dieses Satzes im Eckpunkte-Papier erschwert eine Abschätzung seiner Konsequenzen. Ausdrücklich räumt er aber die Möglichkeit einer Lesart ein, die seinen Schluss zu der Aussage zuspitzt, dass Indizes für eine erfolgsorientierte Finanzierung (und zwar nicht nur Teilfinanzierung) genutzt werden müssen. Es sei daher ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich keine übergreifenden und zugleich belastbaren Indizes für einen erheblichen Teil der an Hochschulen vertretenen Fächer anführen lassen. Viele Kennzahlen (z. B. Drittmittel, Zitationen) berühren nur eng umgrenzte Bereiche, die zudem aus fachspezifischen Gründen sehr unterschiedlich ausfallen: Aus guten Gründen divergierende Publikationskulturen haben zur Folge, dass sich durchaus nicht nur die geistes- und kulturwissenschaftliche Publikationsleistungen deutlich weniger aussagekräftig bibliometrisch und über Zitationsindizes erfassen lassen als in einigen anderen Disziplinen. Und die Höhe von Drittmitteleinwerbungen variiert fachspezifisch schon deswegen in sehr hohem Maße, weil etwa weite Bereiche der Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften, aber auch der theoretischen Mathematik oder Teilfelder der Physik in der Regel nicht auf teure Sachinvestitionen angewiesen sind.
  4. Die beiden Sätze, die das Eckpunkte-Papier der „Karriereförderung des akademischen Mittelbaus“ widmet, lassen nicht erkennen, dass die drängende Problemlage in diesem Bereich bereits vollständig erfasst worden wäre. Eine aktuelle Initiative zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz führt den Handlungsbedarf auf diesem Feld nochmals eindrucksvoll vor Augen. Von einer grundlegenden Novellierung des bayerischen Hochschulrechts darf erwartet werden, dass sie für diese Probleme maßstabsetzende innovative Lösungen entwickelt. Wie problematisch auch vor diesem Hintergrund die Ausweitung von Anreizsystemen wirken würde, die auf numerischen Messgrößen basieren, hat jüngst die Junge Akademie von BBAW und Leopoldina in ihrer Stellungnahme „Anreiz-Problematiken in der Wissenschaft“ aufgezeigt.
  5. Anlass zur Sorge gibt nicht zuletzt auch das Vorhaben, die Beschlussfassung über die ersten neuen Organisationssatzungen der Hochschulen in die Hände der Hochschulräte zu geben. Zwar wird zugleich darauf hingewiesen, dass „der angemessene Einfluss der Träger der Wissenschaftsfreiheit gewährleistet sein muss“. Doch bleibt unklar, wie der grundgesetzlich verankerten Wissenschaftsfreiheit und dem erforderlichen Interessenausgleich zwischen Hochschullehrerschaft, Binneneinheiten und Hochschulleitung angemessen Rechnung getragen werden kann, wenn allein Hochschulräte als relevantes beschließendes Gremium ausgewiesen werden. Hier zeichnet sich im Zuge des Reformvorhabens eine Situation ab, in der Zweifel an der Vereinbarkeit mit der grundgesetzlich gesicherten Wissenschaftsfreiheit in aufwendigen und langwierigen Gerichtsverfahren geklärt werden müssten.

Im Lichte der skizzierten Überlegungen schließen sich der Verband Deutscher Kunsthistoriker und die Gesellschaft für Musikforschung nachdrücklich den Apellen des Offenen Briefs von Professorinnen und Professoren an bayerischen Universitäten sowie der Initiative Geistes- und Sozialwissenschaften an, dass das Staatsministerium alle Betroffenen zu einem offenen Diskussionsprozess einladen möge, der es erlaubt, die im Eckpunkte-Papier skizzierten Überlegungen grundlegend zu überdenken.

Für den Verband Deutscher Kunsthistoriker e.V.
gez.

Prof. Dr. Kilian Heck
(Erster Vorsitzender)
Prof. Dr. Johannes Grave
(Repräsentant der Berufsgruppe
Hochschulen und Forschungsinstitute)

Für die Gesellschaft für Musikforschung e.V.
gez.

Prof. Dr. Dörte Schmidt
(Präsidentin)
Prof. Dr. Ulrich Konrad
(Vizepräsident)