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Stellungnahme zum Referenten­ent­wurf zur Reform des Wissen­schafts­zeit­vertrags­gesetzes (WissZeitVG)

04.07.2023

Stellungnahme des Deutschen Verbandes für Kunstgeschichte e.V. zum Referentenentwurf zur Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes (WissZeitVG) vom 06.06.2023

Der Deutsche Verband für Kunstgeschichte e.V. sieht mit Besorgnis, dass der am 6. Juni 2023 vorgestellte Referentenentwurf zur Reform des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes die prekären Lebens- und Arbeits­bedingungen des wissenschaftlichen Nachwuchses weiter zu verschärfen droht. Das Versprechen, eine Ver­besserung herbeizuführen, löst der Entwurf nicht ein – im Gegenteil. Als größter geisteswissenschaftlicher Fach- und Berufsverband sehen wir uns nach mehreren Stellungsnahmen zu den Novellierungen des WissZeitVG in der Vergangenheit erneut gezwungen, eindringlich vor den zu befürchtenden Aus­wir­kungen des nun vorliegenden neuen Referentenentwurfs zu warnen. Wir fordern eine gründliche Überarbeitung.

Auch das nun vorgesehene „4+2“-Modell, nach dem die aktuelle Höchstbefristungszeit für pro­mo­vierte Wis­sen­­schaft­ler/-innen auf vier Jahre nach der Promotion verkürzt werden soll und eine Verlängerung um zwei weitere Jahre nur möglich sein soll, wenn eine Zusage auf eine anschließende unbefristete Stelle vorliegt, geht erstens an der Realität der wissenschaftlichen Qualifikations­wege in unserem Fach vorbei, zweitens an der Realität der Stellen­struktur an deutschen Hochschulen und Forschungseinrichtungen.

Der Referentenentwurf ignoriert immer noch die Tatsache, dass sich die Qualifikationsphase nach der Pro­motion in ver­schie­denen Fach­disziplinen sehr unterschiedlich darstellt. Im Fach Kunstgeschichte gehört, wie in vielen geisteswissen­schaftlichen Disziplinen, zur Qualifikation in dieser Phase das Vorlegen sub­stan­ziel­ler Publikationen (ob als „second book“, Habilitations­schrift oder einer entsprechen­den Zahl von Aufsätzen), Vorträge, Teilnahme an (am besten auch internationalen) Fach­kongressen, Auslands­aufenthalte, Aufbau in­ter­na­tionaler Vernetzungen, Lehre, Betreuung von Studierenden, administrative Aufgaben und vieles mehr. Der Druck zur Drittmittel­einwerbung schon auf dieser Karrierestufe kommt hinzu.

Für den Erwerb dieser Qualifikationen sind vier Jahre im Fach Kunstgeschichte zu kurz. Die Befristung wird zu einem weiter erhöhten Produktionsdruck führen, der sich an quantitativen Kennzahlen orientiert, nicht an wis­sen­schaftlicher Gründlichkeit. Sie wird zu Lasten der wissenschaftlichen Qualität gehen.

Völlig unrealistisch ist das Konzept der Verlängerung dieser vierjährigen Phase um weitere zwei Jahre, wenn die beschäftigende Institution die Zusage einer unbefristeten Stelle gibt. Das geht an der Wirk­lich­keit der Stel­len­pla­nun­gen an deutschen Hoch­schulen und Forschungs­einrichtungen komplett vorbei. Angesichts nicht zu erwartender Steigerung der schon lange viel zu geringen Grundfinanzierungen dieser Institutionen und stei­gen­der Abhängigkeit von Drittmittel­finanzierung mit ausschließlich befristeten Verträgen ist im Augenblick keine Bereitschaft bzw. Fähigkeit dieser Arbeitgeber erkennbar, die Zahl von unbefristete Stellen zu schaffen, die das im Referentenentwurf vorgeschlagene „4+2“-Modell voraussetzen würde.

Wenn der wissenschaftliche Karriereweg weiter mit großen existentiellen Risiken für die Lebensplanung be­la­den wird, wird der Beruf der Wissenschaftlerin/des Wissenschaftlers immer unattraktiver. Angesichts des sich abzeichnenden Fach­kräfte­mangels, der bald auch für die Wissenschaft gelten wird, ist das ein hohes gesellschaftliches Risiko.

Wir drängen darauf, bei einer Novellierung des WissZeitVG die fachspezifisch unterschiedlichen Karrierewege zu berück­sichtigen. Die Situation des wissen­schaftlichen Nach­wuchses lässt sich dauerhaft nur verbessern, wenn in Gesetzes­novellen nicht immer nur die Befristungs­zeiträume neu justiert werden, sondern wenn eine ausgewogene Zahl von befristeten sowie unbefristeten Stellen für Nach­wuchs­wissen­schaftler/-innen in der Phase nach der Promotion geschaffen wird. Beides ist notwendig, um sowohl Anreize als auch Sicherheit für den wissen­schaftlichen Nachwuchs sowie einen Rahmen für exzellenten Output zu schaffen. Das dürfte nicht ohne eine erhöhte Grund­finanzierung der betreffenden Institutionen zu leisten sein.

Eine Reform, die einfach die Qualifikationszeit nach der Promotion weiter verkürzt und dann hofft, dass sich alles andere von selbst ergibt, geht letztlich zulasten derer, denen man vermeint zu helfen. Es führt kein Weg an einer grundlegenden Reform vorbei, die alle Faktoren in den Blick nimmt. Dazu gehört, dass die pauschale zeitliche Begrenzung von Arbeitsverhält­nissen, die das Karriereende von Wissenschaft­lerinnen und Wis­sen­schaft­lern auch dann erzwingt, wenn sie sich bewährt haben, generell abgeschafft wird. Das WissZeitVG hat seit seiner Einführung keine nachweislichen Verbesserungen für den wissenschaftlichen Nachwuchs erbracht, hingegen viele erfolgversprechende wissenschaftlichen Karrieren abrupt beendet. Demgegenüber haben zahl­rei­che Spitzen­wis­senschaftler/-innen unserer Disziplin, deren Qualifizierungszeit vor Einführung des WissZeitVG lag, dank Beschäftigungszeiten weit oberhalb der bisherigen Regelung eine erfolgreiche Karriere im Fach erreichen können. Zweifelsohne ist es sinnvoll, weiterhin über verlässliche Karriere­wege nach­zu­den­ken. Doch sollte die Bewertung von Qualifizierungsschritten durch fachlich aus­ge­wie­sene Stellen erfolgen und nicht einem wissenschafts­fernen, rigiden gesetzlichen Rahmen folgen. Denn Qualifikation be­misst sich an Qualität, nicht an Geschwindigkeit. Nur mit einer umfassenden Reform, die die Fach­ver­treter/-innen mit einbindet, können diese vielen Faktoren mitberücksichtigt werden und kann eine nachhaltige Sicherung der Karrierewege für junge Wissenschaftler/-innen gelingen. Für die Zukunft des Wis­sen­schafts­stand­orts Deutschlands ist dies unerlässlich.

Prof. Dr. Kerstin Thomas
Erste Vorsitzende

Prof. Dr. Peter Schmidt
Zweiter Vorsitzender

Prof. Dr. Anna Schreurs-Morét
Repräsentantin der Berufsgruppe Hochschulen und Forschungsinstitute

Diese Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Befristungsrechts für die Wissenschaft wurde im Rahmen der Verbändebeteiligung am 3. Juli 2023 an die Bundesministerin für Bildung und Forschung Bettina Stark-Watzinger gerichtet.

Gemeinsame Stellungnahme mit anderen wissenschaftlichen Fachverbänden zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz

Meldung vom 30.06.2021

Zur Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses: Diskussionspapier des Verbandes Deutscher Kunst­historiker e.V.

Meldung vom 28.01.2021