Ein Beitrag von Thomas Kirchner zum Workshop „Der Verband Deutscher Kunsthistoriker 1948 bis 1968/70. Die ersten zwanzig Jahre seines Bestehens“ (Nürnberg, 01.–02.10.2018).
Bei dem folgenden Text handelt es sich um ein Referat, das ich auf dem in Nürnberg am 1. und 2. Oktober 2018 veranstalteten Workshop „Der Verband Deutscher Kunsthistoriker 1948 bis 1968/70. Die ersten zwanzig Jahre seines Bestehens“ gehalten habe. Auf Wunsch der Organisatoren der Veranstaltung, Kilian Heck und Johannes Grave, bin ich gerne bereit, den Text zur Diskussion zu stellen, obwohl er nicht mehr als ein erster Aufschlag, allenfalls ein Zwischenbericht ist. Aus diesem Grunde habe ich auch darauf verzichtet, den Vortragstext mit Anmerkungen zu versehen. Die zitierten Quellen zu dem Frankreichstipendium des Verbandes Deutscher Kunsthistoriker befinden sich im Verbandsarchiv, das im Deutschen Kunstarchiv im Germanischen Nationalmuseum aufbewahrt wird. Sie wurden mir freundlicherweise von Susanna Brogi, der Leiterin des Kunstarchivs, zur Verfügung gestellt, der ich dafür aufrichtig danke. Die Angaben zu den Kunsthistorikerkongressen, zum Teil auch zu den Ausstellungen, wurden der Kunstchronik entnommen.
Auch wenn das Thema des Workshops die Geschichte des Verbandes Deutscher Kunsthistoriker von seiner Gründung im Jahre 1948 bis 1968/70 ist, so ist diese Geschichte – was die Frankreichforschung betrifft – nicht ohne die Vorzeit, konkret ohne die Rolle der deutschen Kunstgeschichte im besetzten Frankreich zu denken. Drei Bereiche sind dabei zu berücksichtigen: 1.) die Kunsthistorische Forschungsstätte in Paris, 2.) der Kunstschutz, 3.) der Lehrstuhl für Kunstgeschichte an der Reichsuniversität Straßburg. Zu diesen Bereichen sind aktuell Forschungen im Gange, eine abschließende Einschätzung erscheint damit noch nicht in allen Punkten möglich. Zu der Rolle der deutschen Kunstgeschichte im Rahmen der Kunsthistorischen Forschungsstätte erarbeitet Nikola Doll am Deutschen Forum für Kunstgeschichte Paris eine Monographie, ich stütze mich bei meinen Aussagen weitgehend auf ihre Forschungen. Über die Rolle des Kunstschutzes sind Christina Kott für Frankreich und Christian Fuhrmeister die ausgewiesenen Spezialisten. Ganz aktuell wird der Nachlass von Franz Graf Wolff-Metternich am LVR-Amt für Denkmalpflege im Rheinland in Brauweiler untersucht, wovon auch neue Erkenntnisse über dessen Rolle als Leiter des Kunstschutzes in Frankreich zu erwarten sind. Eine Tagung mit dem Titel „Kulturgutschutz in Europa und im Rheinland: Franziskus Graf Wolff Metternich und der Kunstschutz während des Zweiten Weltkrieges“ zieht vom 19. bis 21. September 2019 eine erste Bilanz. Auch wird am Deutschen Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte – Bildarchiv Foto Marburg den Fotokampagnen von Richard Hamann im besetzten Frankreich nachgegangen.
Ich will mich im Folgenden auf einzelne Stichpunkte konzentrieren, um im Anschluss einige Bemerkungen zur Geschichte nach 1945 zu machen, die aber eher tastend sind und keinen Anspruch auf abschließende Gültigkeit haben. Verfolgen wir die drei Stränge in ihrer Chronologie. Sie sind miteinander verzahnt, Verbindungen bestehen insbesondere zwischen dem Kunstschutz und der Kunsthistorischen Forschungsstätte in Paris auf zahlreichen Ebenen. Zentrale Akteure sind die kunsthistorischen Institute der Universitäten Bonn und Marburg. Als Organisatoren deutscher Kunstgeschichte im besetzten Frankreich können die Ordinarien Alfred Stange in Bonn (1894–1968) und Richard Hamann in Marburg (1879–1961) benannt werden. Außerdem ist auf Hubert Schrade zu verweisen, der ab 1941 den Lehrstuhl für Kunstgeschichte an der Reichsuniversität Straßburg innehatte.
Mit der Besetzung Frankreichs wurde der Kunstschutz aktiv, der von dem Bonner Denkmalpfleger Paul Clemen im Ersten Weltkrieg gegründet worden war und in Frankreich seit Mai 1940 von Franz Graf Wolff-Metternich geleitet wurde; im Juli 1942 übernahm sein Stellvertreter Bernhard von Tiechowitz die Leitung. Wolff-Metternich – Schüler von Paul Clemen – war seit 1928 Provinzialkonservator und leitete die Denkmalpflege der Rheinprovinz. Der Kunstschutz war dem Oberkommando des Heeres unterstellt, Konflikte ergaben sich immer wieder mit anderen Abteilungen der Wehrmacht, mit der SS, der Gestapo und dem Einsatzstab Rosenberg, was zum Rückzug von Wolff-Metternich geführt haben soll. De facto blieb Wolff-Metternich aber über alle Vorgänge informiert, vielleicht sogar in Entscheidungen involviert.
Im Zusammenhang mit dem Kunstschutz sind auch die Fotokampagnen von Foto Marburg zu nennen, die seit 1940 unter der Leitung von Richard Hamann durchgeführt wurden. Die Fotokampagnen – finanziert wohl vor allem durch das Außenministerium – dokumentierten systematisch die französische Kulturlandschaft. Die Rede ist von 30.000 Aufnahmen, mit denen die französische Kunstlandschaft zum ersten Mal systematisch erschlossen wurde. Sie prägten die deutsche Frankreichforschung auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nachhaltig.
Die Reichsuniversität Straßburg wurde nach der Besetzung des Elsass im November 1941 als Frontuniversität gegründet, nachdem die Université de Strasbourg nach Kriegsausbruch 1939 nach Clermont-Ferrand evakuiert worden war. Auf den Lehrstuhl für Kunstgeschichte wurde Hubert Schrade berufen. Schrade war neben Wilhelm Pinder, Alfred Stange und Hans Sedlmayr einer der aktivsten Nazis unter den Kunsthistorikern. Er hatte 1922 in Heidelberg eine germanistische Promotion verfasst, wechselte dann zur Kunstgeschichte und habilitierte dort 1929 bei Carl Neumann. 1931 wurde er zum außerplanmäßigen außerordentlichen Professor ernannt. Seine Karriere machte er dann nach 1933. 1935 wurde er außerplanmäßiger ordentlicher Professor; Ziel Schrades und der nationalsozialistischen Kulturverwaltung war es, den Inhaber des Heidelberger Lehrstuhls, August Grisebach, zu verdrängen und Schrade auf den Lehrstuhl zu setzen. Dies geschah 1937, Grisebach wurde Ende September des Jahres gegen seinen Widerstand in den Ruhestand versetzt. Schrade wechselte zum 1. September 1940 an die Universität Hamburg, verließ diese aber bereits ein knappes Jahr später, um zum 1. August 1941 den Lehrstuhl in Straßburg zu übernehmen.
Über Schrades Wirken informiert uns Nicola Hille („Deutsche Kunstgeschichte“ an einer „deutschen Universität“. Die Reichsuniversität Straßburg als nationalsozialistische Frontuniversität und Hubert Schrades dortiger Karriereweg, in: Ruth Heftrig, Olaf Peters und Barbara Schellewald (Hg.), Kunstgeschichte im „Dritten Reich“, Berlin 2008, S. 87–102). Kurz nach seiner Ankunft wurde er zum Dekan der Fakultät und Prorektor ernannt. Nach der Befreiung Frankreichs 1944 floh er aus Straßburg nach Tübingen, wo er noch kurze Zeit die dorthin verlagerte Universität („Frontuniversität“) leitete. Nach 1945 kehrte die Université de Strasbourg wieder in ihre Räume zurück. Da Schrades Wirken – wie es scheint – keine weiteren Auswirkungen auf die Frankreichforschung der Nachkriegszeit gehabt hat, soll es hier nicht weiter verfolgt werden.
Als zentrale Einrichtung der deutschen Kunstgeschichte in Frankreich wurde 1942 die Kunsthistorische Forschungsstätte gegründet, das erste deutsche Auslandsinstitut für Kunstgeschichte in Frankreich. Sie bestand bis zum Ende der deutschen Besatzung im Gebäude der ehemaligen tschechischen Botschaft, 18, rue Bonaparte im 6. Arrondissement. Treibende Kraft der Gründung war der Bonner Ordinarius für Kunstgeschichte Alfred Stange. Stange, der nach der Machtergreifung der NSDAP und der SA beigetreten war, suchte – ähnlich wie Schrade, der neben Stange dem Verwaltungsrat des Instituts angehörte – nach einer Form, die Expansionspolitik des NS-Staates auf kunsthistorischer Ebene zu begleiten. So saßen die Drahtzieher für die Kunsthistorische Forschungsstätte wie auch für den Kunstschutz im Bonner Kunsthistorischen Institut, war doch Wolff-Metternich dem Institut als Honorarprofessor verbunden.
Stange baute das Bonner Institut im Sinne der Machthaber und mit Unterstützung des Reichsministeriums für Erziehung, Wissenschaft und Volkserziehung zu einem Zentrum der Frankreichforschung aus. Nachdem die deutsche Kunstgeschichte in der Auseinandersetzung um den Ursprung der Gotik eine Niederlage hatte erfahren müssen, kaprizierte man sich nun darauf, einen generellen Einfluss einer „germanischen“ Kunst auf die französische Kunst zu behaupten und Deutschland als das Zentrum zu beschreiben, von dem die zentralen Kunstentwicklungen – in Frankreich wie auch in Skandinavien und Mitteleuropa (Stange) – ausgingen. Eine nichtgermanische Kunst erschien nur in Bezug auf eine germanische Kunst beachtenswert. Insbesondere am Mittelalter glaubte man dies aufzeigen zu können.
Zum Leiter der Kunsthistorischen Forschungsstätte wurde Hermann Bunjes ernannt. Er hatte 1935 in Marburg bei Friedrich Paul Hermann Wachtsmuth, einem überzeugten Nazi, und Richard Hamann mit einer Arbeit über Die steinernen Altaraufsätze der hohen Gotik und der Stand der gotischen Plastik in der Île-de France um 1300 promoviert und 1939 in Bonn bei Alfred Stange habilitiert. Von 1936 bis 1939 war er Assistent im Denkmalamt der Rheinprovinz, nach seiner Habilitation Dozent am Bonner Kunsthistorischen Institut. Bunjes trat nach der Machtergreifung der SA bei, 1938 wurde er Mitglied der NSDAP und der SS. Er besaß also sehr gute Beziehungen zu den drei bereits genannten Akteuren Alfred Stange vom Bonner Kunsthistorischen Institut, Franz Graf Wolff-Metternich von der rheinischen Denkmalpflege und vom Kunstschutz sowie Richard Hamann von Foto Marburg. Das Bonner Institut hielt auch nach seiner Flucht aus Paris kurz vor der Befreiung im Sommer 1944 seine schützende Hand über ihn und ernannte ihn im November des Jahres zum außerordentlichen Professor. Bunjes war ein Spezialist der französischen Kunst, ein fertiges Buchmanuskript zur französischen mittelalterlichen Skulptur war offensichtlich zur Publikation vorgesehen. Er hatte durchaus Kontakte zu französischen Kollegen, insbesondere war er aber um gute Beziehungen zum Kunsthandel bemüht. Auch wenn sich Bunjes als Forscher betätigte, so war es doch eine seiner Hauptaufgaben, den deutschen Besatzern zuzuarbeiten. Ganz offensichtlich war er intensiv in die Identifizierung und den Raub jüdischen Kunstbesitzes eingebunden, als Beobachter des Kunsthandels scheint er auch deutschen Museen bei ihren Einkäufen in Paris geholfen zu haben. Göring erkannte seine Fähigkeiten und ernannte ihn zum Offizier der Luftwaffe, um ihn besser für seine persönlichen Interessen einsetzen zu können. Die Kunsthistorische Forschungsstätte wurde nach der Befreiung von Paris im Sommer 1944 geschlossen, Bunjes war schon zuvor aus der französischen Hauptstadt geflohen. Die Bibliothek gelangte über Umwege 1946 in die Universitätsbibliothek der neu gegründeten Mainzer Universität. Quellen befinden sich in verschiedenen Pariser Archiven. Bunjes nahm sich im Sommer 1945 in der französischen Kriegsgefangenschaft das Leben.
Soweit die Vorgeschichte, mit der die Frankreichforschung nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs konfrontiert war. Weit über die Kriegsschuld hinaus war die deutsche Kunstgeschichte desavouiert. Die Strategie, sich als unpolitische Disziplin darzustellen, die das Fach in Deutschland zumindest bis 1968 verfolgte, konnte in Frankreich nicht überzeugen. Auch wenn die Geschichtswissenschaft als Disziplin sicher nicht weniger politisch belastet war als die Kunstgeschichte, so gelang es ihr doch, am 21. November 1958 in Paris mit Unterstützung Konrad Adenauers eine deutsche historische Forschungsstelle als ein Zeichen der deutsch-französischen Aussöhnung zu gründen. Am 14. September desselben Jahres hatte das erste Treffen von Charles de Gaulle und Adenauer stattgefunden. Für die Kunstgeschichte schien eine solche Gründung zu diesem Zeitpunkt nicht denkbar.
Von den Künstlern weiß man, dass viele Vertreter der ungegenständlichen Moderne bereits bald nach Kriegsende nach Paris, dem Mekka der wieder erwachten modernen Kunst, pilgerten: Karl Otto Götz ab 1949/50, Bernhard Schultze ab 1951, Ernst Wilhelm Nay und andere. Wie sah es in der Kunstgeschichte aus? Hier ist die Situation, zumindest was die ersten Nachkriegsjahre betrifft, wesentlich undurchsichtiger. Den Biographien der Kunsthistoriker ist nicht zu entnehmen, ob sie bereits frühzeitig Kontakte nach Frankreich suchten. Auslandskontakte bestanden vor allem zu Italien. Frankreich war schwierig, von der französischen Seite war verständlicherweise kein sehr freundlicher Empfang zu erwarten.
Eine erste Annäherung scheint auf der Ebene der Museen stattgefunden zu haben. Die Forschung an den Museen war wesentlich objektbezogener und aus diesem Grunde weniger ideologisch aufgeladen. Über die Kunstwerke konnte man in Austausch treten, ohne die ideologisch aufgeladene Vergangenheit zu berühren. Indes ist dieser Bereich der Kontaktaufnahme noch weitgehend unerforscht.
Besser informiert sind wir über einige Ausstellungen, die von offizieller Seite unterstützt oder sogar veranstaltet wurden. So wurde am 6. Dezember 1948 im Pariser Petit Palais eine zuvor bereits in Amsterdam und Brüssel gezeigte Ausstellung mit Meisterwerken der Alten Pinakothek eröffnet, die bereits in den ersten vier Wochen 80.000 Besucher verzeichnen konnte. Es folgten 1950 im Musée de l’Orangerie die Ausstellung Des maîtres de Cologne à Albert Dürer. Primitifs de l‘école allemande und im Februar/März 1951 wieder im Petit Palais die Ausstellung Chef d’œuvres de Berlin, die ebenfalls zuvor in Amsterdam und Brüssel gezeigt worden war. Eine wichtige Vermittlerrolle spielte dabei der Botschafter der Bundesrepublik Deutschland, Wilhelm Hausenstein, der auch eine zentrale Rolle bei der Realisierung der von Oktober 1951 bis Januar 1952 im Musée de l’Orangerie gezeigten Ausstellung Impressionistes et romantiques français dans les musées allemands spielte. Im Gegenzug wurde im Winter 1952/53 in Hamburg und München die Ausstellung Meisterwerke der französischen Malerei von Poussin bis Ingres aus französischen Sammlungen gezeigt. Bereits 1946 und 1947 hatte die französische Militärregierung zwei spektakuläre Ausstellungen veranstaltet: La peinture française moderne. Moderne französische Malerei, im September 1946 in Baden-Baden eröffnet und danach unter anderem im Berliner Stadtschloss gezeigt, und in Herbst 1947 in Freiburg Meisterwerke französischer Malerei der Gegenwart. Sie sind jedoch nicht Ergebnis der deutschen Frankreichforschung, sondern waren Teil eines Erziehungsprogramms des deutschen Volkes, zu dessen Zweck die französische Militärregierung zwischen 1946 und der Gründung der Bundesrepublik im Jahre 1949 circa 50 Ausstellungen organisierte.
Die universitären Akteure der Frankreichforschung waren hingegen weitgehend desavouiert. Stange wurde 1945 entlassen, er war der einzige prominente nationalsozialistische Kunsthistoriker, der nach dem Krieg nicht wieder Fuß an einer Universität fassen konnte.
Ein Neuanfang war einer jüngeren Generation vorbehalten. Ihr bekanntester Vertreter ist sicherlich der kürzlich verstorbene Willibald Sauerländer, der nach seiner Promotion bei Hans Jantzen im Jahr 1953 mit einer Arbeit über das Gotische Figurenportal in Frankreich von 1954 bis 1959 in Paris lebte und seinen Unterhalt als Deutschlehrer und Fremdenführer verdiente. Er war wohl der wichtigste Brückenschlag nach Frankreich. Günter Metken lebt seit 1955 bis zu seinem Tode in Paris. 1957 kam Johannes Langner zu Forschungen für seine Dissertation über Claude-Nicolas Ledoux nach Paris und lebte nach Auskunft Sauerländers von 1961 für ein knappes Jahrzehnt in Paris; Wolfgang Becker studierte in der ersten Hälfte der sechziger Jahre in Paris und promovierte 1965 in Köln mit einer Arbeit über Paris und die deutsche Malerei 1750–1840. Wie Willibald Sauerländer in seinem Nachruf auf Langner schreibt, förderte André Chastel die jungen Deutschen.
Die Erforschung der Gotik, für die in Deutschland der ebenfalls belastete Hans Jantzen oder auch Hans Sedlmayr standen, scheint in Frankreich nicht sonderlich wahrgenommen worden zu sein. Jantzens Studien Burgundische Gotik (1948) oder Kunst der Gotik. Klassische Kathedralen Frankreichs (1957) wie auch Sedlmayrs Entstehung der Kathedrale (1950) wurden nicht ins Französische übersetzt. Die erste französische Übersetzung scheint Willibald Sauerländers La sculpture gotique en France aus dem Jahre 1972 gewesen zu sein (deutsch 1970). 1990 sollte eine Übersetzung von Dieter Kimpels und Robert Suckales Standardwerk unter dem Titel L’architecture gotique en France erscheinen.
Doch auch in Deutschland scheint man eine gewisse Zurückhaltung an den Tag gelegt zu haben. Auf dem 1. Deutschen Kunsthistorikertag 1948 in Brühl dominierten Themen zur deutschen und italienischen Kunst, zumindest aber ein Abendvortrag von Richard Hamann widmete sich der französischen Kunst, den Skulpturen der Abteikirche von Saint Gilles. Außerdem sprach Friedrich Gerke über Entwicklungsstufen frühprovencalischer Plastik und berichteten Johann Joseph Morper über Forschungsergebnisse zu Saint Denis und Hermann Giesau zum Figurenportal. Das ist nicht gerade viel, aber wohl auch dem Umstand geschuldet, dass es schwierig war, in Frankreich zu forschen. Hamann griff auf seine alten Forschungen zurück, hatte er doch bei seinen Fotokampagnen auch umfangreiches Material sammeln können. Interessant ist es, dass in diesem Zusammenhang ausschließlich mittelalterliche Themen besprochen wurden, die ja auch während des deutschen Faschismus im Zentrum der ideologisch geleiteten Forschung standen. Dies mag auch, aber sicherlich nicht allein dem Umstand geschuldet sein, dass der Kongress insgesamt einen Schwerpunkt im Mittelalter hatte. Es scheint, dass sich die Vorträge auf Fragen des Stils und die formale Gestaltung der Werke konzentrierten und Aussagen, die ideologisch verstanden werden könnten, vermieden. Hier wäre zu fragen, ob und wenn ja wie sich die Mittelalterforschung neu oder zumindest anders ausrichtete, um sich von der ideologisch beladenen Forschung während des Faschismus abzugrenzen. Eine kritische Auseinandersetzung oder Abgrenzung mit der Mittelalterforschung während des Faschismus scheint auf jeden Fall nicht stattgefunden zu haben. Auffallend ist indes, dass man sich über das Mittelalter dem Nachbarland annäherte.
Auf dem 2. Deutschen Kunsthistorikertag, der im September 1949 in Schloss Nymphenburg stattfand, war die Frankreichforschung schon ein wenig prominenter vertreten. Walter Überwasser aus Basel sprach über Maßgerechte Bauplanung der Gotik am Beispiel Villards de Honnecourt, Wolfgang Schöne über Die Glasfenster von Chartres und Gerhard Franz in der Sektion zur Kunst des 19. Jahrhunderts über Die Anfänge der kubistischen Malerei und ihre Deutung. In der anschließenden Diskussion kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen Werner Haftmann und Hans Sedlmayr über dessen soeben erschienenes Buch Der Verlust der Mitte. Auf dem im September 1951 in Berlin-Charlottenburg abgehaltenen 3. Deutschen Kunsthistorikertag wurden keine Themen zur französischen Kunst behandelt ebenso wie auf den folgenden Tagen in Nürnberg (August 1952) und Hannover (Juli 1954). Erst auf dem 6. Deutschen Kunsthistorikertag in Essen (August 1956) war Frankreich wieder mit Vorträgen von Günter Bandmann Zur Genesis des gotischen Kathedralgrundrisses und von Willibald Sauerländer präsent, der aber nicht über das Mittelalter sprach, sondern über Poussins Jahreszeiten.
Mit Josef Adolf Schmoll gen. Eisenwerth, der 1950/51 mit einer Arbeit über Rodin habilitierte, und Wend Graf Kalnein engagierten sich auch zwei Fachvertreter in der Frankreichforschung, die während des Krieges in Frankreich stationiert waren, Kalnein beim Kunstschutz. Sie beteiligen sich auf dem 9. Deutschen Kunsthistorikertag in Regensburg (Juli/August 1962) mit Vorträgen zur französischen Kunst.
Das wachsende Interesse an Frankreich spiegelt sich auch in der Kunstchronik wider. Wurde in den ersten Jahren nach 1949 nur sporadisch über einzelne Ausstellungen in Frankreich berichtet, so erhöhte sich die Zahl der Berichte ab den sechziger Jahren. Frankreich erlangte auf jeden Fall eine zunehmende Aufmerksamkeit. Und offensichtlich wollte auch der Verband sich in die politische Annäherung von Frankreich und Deutschland einbringen. So vergab er von 1961 bis 1964 ein Frankreichstipendium, das Johannes Langner erhielt. Die Geschichte des Stipendiums ist nicht sehr transparent. Das Stipendium, in dessen Vergabe der Staatssekretär des Bundeskanzleramtes involviert war und das vom Ministerium für Forschung und Wissenschaft finanziert wurde, war offensichtlich nicht ausgeschrieben worden. Der Vorsitzende des Verbandes und Inhaber des Bonner kunsthistorischen Lehrstuhls, Herbert von Einem, scheint es direkt an Langner vergeben zu haben. Ein im Archiv des Verbandes aufbewahrter Schriftwechsel zwischen den beiden klärt uns über das Stipendium auf. Am 27. Januar 1961 schreibt von Einem an Langner:
„Ich stehe zurzeit in Verhandlung wegen der Einrichtung eines kunsthistorischen Stipendiums an der deutschen historischen Forschungsstelle in Paris. Vielleicht ergibt sich die Möglichkeit, dass schon in diesem Jahr ein solches Stipendium gegeben werden kann. Ich möchte nun Sie als erstes fragen, ob Sie an einem solchen Stipendium (in Höhe der Forschungsstipendien der Deutschen Forschungsgemeinschaft) Interesse hätten?“
Außerdem bat von Einem Langner um die Angabe eines konkreten Forschungsthemas mit einem Bezug zu Paris und zur französischen Kunst. Das Stipendium solle erst einmal für ein Jahr vergeben werden, die Option einer Verlängerung bestehe. Langner antwortete in einem Schreiben vom 1. Februar 1961, aus dem hervorgeht, dass er bereits von Sauerländer von dem Projekt eines Frankreichstipendiums gehört hatte. Als Forschungsprojekt gab er an, dass er seine Arbeiten über Ledoux und die Revolutionsarchitektur fortsetzen wolle.
Herbert von Einem stellte daraufhin einen Antrag bei dem Staatssekretär des Bundeskanzleramts, bereits am 30. März 1961 wurde das Stipendium für das Haushaltsjahr 1961 bewilligt, eine Verlängerung wurde in Aussicht gestellt. Die thematische Ausrichtung der Forschungsarbeit Langners ist nicht eindeutig nachvollziehbar, denn bei der letzten Bewilligung durch den Minister für Forschung und Wissenschaft mit der Zusage über einen Bundeszuschuss für das Rechnungsjahr 1964 in Höhe von 5.700,- DM heißt es: „Die Mittel sind zweckgebunden und bestimmt zur Durchführung einer kunstgeschichtlichen Untersuchung über die Galerien im französischen Wohnbau des 17. Jahrhunderts.“
Der Wechsel des Themas war wohl der deutschen Universitätstradition geschuldet, dass eine Habilitation nicht demselben Feld wie die Dissertation angehören dürfe, Langners 1961 abgeschlossene Dissertation galt dem Architekten Claude-Nicolas Ledoux. Vermutlich waren die Galerien im französischen Wohnbau sein neues Forschungsprojekt, aus dem sich dann seine 1970 in Freiburg abgeschlossene Habilitation über die Galerie des Glaces in Versailles entwickelte. Wieso die Wahl auf Langner fiel, ist den Unterlagen nicht zu entnehmen. Wie es scheint, wurde die Vergabe im Vorfeld ausgehandelt, vermutlich zwischen dem in Freiburg lehrenden Kurt Bauch, bei dem Langner promoviert hatte, und dem Verbandsvorsitzenden von Einem; der ebenfalls in Freiburg lehrende Sauerländer, der Bauch seit 1957 kannte, scheint auch involviert gewesen zu sein.
Vermutlich wollte von Einem mit seiner Initiative an die alte Bonner Tradition anzuknüpfen und einen Frankreichschwerpunkt aufbauen. Der Moment war mit der deutsch-französischen Annäherung gekommen, er hatte wohl die Hoffnung, dass die Einrichtung einer deutschen historischen Forschungsstelle, das heutige Deutsche Historische Institut Paris, auch eine Annäherung in der Kunstgeschichte befördern könnte.
Das Projekt eines vom Verband Deutscher Kunsthistoriker vergebenen Frankreichstipendiums scheint nach 1964 nicht fortgesetzt worden zu sein. Über die Gründe ist den Unterlagen nichts zu entnehmen. Auch danach scheint es keine Initiativen einer Institutionalisierung der kunsthistorischen Frankreichforschung gegeben zu haben. Hierfür hatte das Fach bis 1997 zu warten, als Thomas Gaehtgens die Initiative seines Lehrers von Einem wieder aufgriff und das Deutsche Forum für Kunstgeschichte in Paris gründete.
Thomas Kirchner
Deutsches Forum für Kunstgeschichte Paris