Eintrag veröffentlicht am 15.10.2020, aktualisiert und ergänzt am 03.05.2024

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Allianz-Haus
Flachsmarktstraße 36 / Große Bleiche 60–62
55116 Mainz

Erbaut: 1963 Fertigstellung
Entwurf: Ludwig Goerz (1895–1988)
Geschütztes Baudenkmal:  ja

Status: drohende Gefährdung

Im Mainzer Bleichenviertel entstand beim Wiederaufbau – wie vielerorts – ein echtes Mehrgenerationen-Ensemble. Architekt Ludwig Goerz baute neben der wiederhergestellten barocken Kirche St. Peter als Nachbarn das Allianz-Haus (1963): ein moderner Geschäftsbau, der durch Gestalt und Materialität sehr sensibel auf die Kirche reagiert. Das Gebäude steht nun unter Denkmalschutz, ringt aber weiterhin um breite Anerkennung als Teil der Mainzer Baukultur, nicht als Verfügungsmasse.

Unterstützer: Initiative „Die Betonisten“, Initiative „Spielraum“, Mainzer Initiative Allianzhaus (MIA Mainz), Initiative „Repair – Gemeinsam Stadt reparieren“, Architects for future Mainz

Foto: Maximilian Kürten

Bis 1944 verdeckte die Stiftsdechanei (1772) mit einem mächtigen Mansarddach das Eingangsportal der barocken Kirche St. Peter. Bei den Luftangriffen auf Mainz 1944 und 1945 wurde die Kirche stark beschädigt und der kirchliche Verwaltungsbau zerstört. Der Wiederaufbau von St. Peter erfolgte 1961. Architekt Ludwig Goerz entwarf auf der geräumten Fläche der Stiftsdechanei mit dem Allianzhaus ein modernes Geschäftshaus, das seit 1963 mit St. Peter ein beeindruckendes Ensemble bildet und nicht sich selbst, sondern die Kirche St. Peter in den Vordergrund stellt.

An der Stelle des Verwaltungsbaus ließ Goerz einen Vorplatz entstehen, der die Doppelturmfassade weithin sichtbar macht. Das Allianz-Haus nimmt sich zurück und ist in seiner Höhe und dreiteiliger Vertikalgliederung sorgfältig auf die Kirchenfassade abgestimmt. Durch die Verwendung von rötlichem Mainsandstein ist die Bezugnahme auf die Kirche sowie auf die Mainzer Bautradition noch offensichtlicher.

Foto: Maximilian Kürten

Das Allianz-Haus ist eine asymmetrische Anlage. An einen Riegelbau parallel zur Großen Bleiche schließt sich an der Ecke Flachsmarktstraße ein Kopfbau an, der wiederum auf der Rückseite der Anlage mit einem Flügel eine Hufeisenform bildet. Das Allianz-Haus nimmt sich städtebaulich zurück, um eine Sichtachse auf St. Peter zu schaffen und einen Vorplatz auszubilden. Das Portal von St. Peter ist damit vom Münsterplatz sichtbar geworden. Die in der Erdgeschosszone vorgelagerten Ladenbauten fungieren optisch als Sockel und zeichnen sich durch eine offene Wegeverbindung von der Großen Bleiche in die Petersstraße aus. In den vollverglasten Ladengeschäften befinden sich heute Gastronomie, Kultureinrichtungen und noch immer die Allianz Versicherung. Die Erdgeschosszone ist gerade durch diese gastronomische und kulturelle Nutzung sowie durch die einmalige Lage zwischen Neustadt und Altstadt zu einem beliebten und festen Bestandteil des Mainzer Stadtlebens und zu einem verbindenden Element beider Stadtteile avanciert.

Foto: Maximilian Kürten

Nachdem eine Abrissgenehmigung bereits gewährt wurde, durfte das Gebäude befristet auf fünf Jahre (2017–2022) als Flüchtlingsunterkunft genutzt werden. Dazu wurden die Büroflächen in den Geschossen eins bis vier provisorisch in Wohnraum mit gemeinschaftlichen Küchen, Sanitärräumen Flächen für soziale Angebote umgerüstet. Die Betreuung dieser Gemeinschaftsunterkunft gewährleistet der Kreisverband des Deutschen Roten Kreuzes.

Im Zuge des Neubaus für das Gutenberg-Museum stand das Areal als neuer Standort zur Debatte (vgl. Standortstudie Gutenberg-Museum). Vollkommen ignoriert wurde in der Debatte, dass mit diesem Vorschlag auf einen Schlag nicht nur der Museumsbau von Rainer Schell verloren geht, sondern auch das Allianzhaus als eines der gelungensten und anerkanntesten Gebäude der Mainzer Nachkriegsmoderne. Zuletzt wurde durch die Freigabe der nach dem Auszug der Flüchtlingsunterkunft nun leerstehenden Büroflächen an Start-Ups und Kulturinstitutionen die Nutzung bis 2025 gewährleistet. Es fehlt jedoch nach wie vor viel öffentliche Anerkennung für diese Gestaltungsleistung. Und auch wenn es nicht zum Neubau für das Museum an dieser Stelle gekommen ist: Eine (vorgeblich) flächenoptimierte Ausnutzung dieses Standorts bleibt als Gefährdung bestehen.

Gegen den Abriss und vor allem für den Erhalt des Kulturstandortes Allianz-Haus bildete sich ein Netzwerk von Initiativen. Der „Spielraum“ und „Die Betonisten“ begannen Gespräche mit Vertretern der Politik und der Mainzer Aufbaugesellschaft (MAG) als Eigentümerin. Gleichzeit stellten „Die Betonisten“ im September 2022 einen Antrag auf Prüfung eines Denkmalwerts bei der Landesdenkmalpflege – mit Erfolg! Die institutionelle Würdigung durch die Unterschutzstellung sorgte in der Politik für eine parteiübergreifende Aussprache für den Erhalt des Gebäudes und des Kulturstandortes.

Wurden die ersten Pläne eines flächenoptimierten Ersatzgebäudes ausschließlich für Büronutzung verworfen, wird mittlerweile die Umnutzung des Allianz-Hauses zur Stadtbibliothek mit wissenschaftlichem Stadtarchiv geprüft. Gefährdet ist die historische Bausubstanz weiterhin. So bedarf es wahrscheinlich einer kostenintensiven Ertüchtigung vor allem des Tragwerks sowie der Haustechnik, um die Anforderungen einer derartigen Nutzung erfüllen zu können. Eine Argumentation der Unzumutbar der Ertüchtigung aufgrund der wirtschaftlichen Belastung seitens der Eigentümerin, könnte den Erhalt des Gebäudes trotz der erfolgten Unterschutzstellung weiter gefährden.

Text: Maximilian Kürten, Die Betonisten
Redaktion: Martin Bredenbeck

Oben: Foto: Maximilian Kürten

Zum Weiterlesen:

Website zum Architekten Ludwig Goerz

Grahl, Jonas: Hoffentlich Allianz versichert. Das Mainzer Allianzhaus und der kritische Regionalismus in der Unternehmensrepräsentation, Masterarbeit masch., Johannes Gutenberg-Universität Mainz, SS 2022.

Bermeitinger, Michael: „Zeuge der Mainzer Aufbauzeit – ein Plädoyer fürs Allianzhaus“ (Allgemeine Zeitung vom 15.05.2020)

Bermeitinger, Michael: Mainzer Stadtspaziergänge. Vom Kästrich zum Rhein, Bd. 1, Ingelheim ²2020

Leben in der Flüchtlingsunterkunft „Allianzhaus“ (Sensor vom 31.05.2017)

Bermeitinger, Michael: „Mainz in den 60ern. Endlich geht es wieder aufwärts“, in: Unsere Geschichte. Das historische Magazin für die Region, Nr. 3, 2016

Allianzhaus wird Haus für Flüchtlinge (Mainz& vom 05.07.2016)

Mainz: Die Zukunft des Allianzhauses …? (Sensor vom 27.09.2014)

Mainz bleibt Mainz? Überlegungen zur Stadtgestalt, hg. v. AK Stadtplanung und Denkmalpflege am KHI der JGU, Mainz 1984, S. 125

Bericht zur Eröffnung, Allgemeine Zeitung vom 06./07.07.1963