Brüder-Grimm-Platz in Kassel
Brüder-Grimm-Platz in Kassel
mit den Außenanlagen des Hessischen Landesmuseums
Brüder-Grimm-Platz
34117 Kassel
Erbaut: ab 1805 (sechseckiger Stadtplatz), um 1869/70 (heutiges Randstraßensystem, Weinbergstraße); um 1912/13, mit Parkgestaltung von ca. 1905 (Außenanlagen des Hessischen Landesmuseums); 1964/65 (Grünflächengestaltung)
Geschützte Kulturdenkmale: ja
Status: drohende Gefährdung
Seit über 200 Jahren besteht der Brüder-Grimm-Platz als Bindeglied zwischen der Kasseler Innenstadt und dem berühmten Bergpark Wilhelmshöhe. Im frühen 20. Jahrhundert von Theodor Fischer durch den Bau des neuen Hessischen Landesmuseums und die dazugehörigen Außenanlagen weiterentwickelt, präsentiert er sich heute außerdem als herausragendes, selten gewordenes Beispiel für einen grünen Stadtplatz der Nachkriegsmoderne. Die geplante Neugestaltung mit einem Kiefernrondell bedroht nun dieses historische Erbe Kasseler Stadtbau-, Architektur- und Kulturgeschichte.
Unterstützung: Arbeitskreis Denkmalschutz und Stadtgestalt Kassel
Der Brüder-Grimm-Platz verbindet die Kasseler Innenstadt mit der Wilhelmshöher Allee. Diese frühere, schnurgerade Landstraße beginnt hier an zwei Torgebäuden und gipfelt nach 5 km Länge in der berühmten Parkachse mit Schloss, Kaskaden und Herkules (heute UNESCO-Welterbe). Dabei spiegelt der Platz über 200 Jahre Stadtbau-, Architektur- und Kulturgeschichte wider – mit bedeutenden Namen wie Theodor Fischer, den Brüdern Grimm (1814–22 Wohnung im nördlichen Torgebäude) und Adolph von Menzel. Erst mit Torgebäuden und Stadtplatz erhielt die Wilhelmshöher Allee ab 1805 einen wirkungsvollen Auftakt; zugleich ist der Platz Abschluss bzw. Entrée der (inner-)städtischen Königsstraße sowie Gegenpol zum Bergpark. Ab 1907 entwickelte Theodor Fischer den Gelenkplatz mit dem Bau des Hessischen Landesmuseums, einem architektonischen und städtebaulichen Gesamtkunstwerk, kongenial weiter. Nach 1950 wurden kriegszerstörte Teile der Randbebauung im Sinne der städtebaulichen Gelenkfunktion ergänzt, und 1964/65 gestaltete man die mittleren Grünflächen neu – diese sind heute ein herausragendes, selten gewordenes Beispiel für einen grünen Stadtplatz der Nachkriegsmoderne.
Die geplante Neugestaltung des Brüder-Grimm-Platzes durch die Stadt Kassel – gefördert mit Bundesmitteln (Nationale Projekte des Städtebaus) – bedroht nun dieses historische Erbe. Für die „große Geste“ eines kreisrunden „Märchenwalds“ (inzwischen auch als Kiefernhain bezeichnet) ginge nicht nur die Wahrnehmung als städtischer Gelenkplatz und wirkungsvoller Auftakt zum UNESCO-Welterbe verloren (der Platz steht als Gesamtanlage unter Denkmalschutz), sondern es droht auch die Zerstörung der denkmalgeschützten Grünflächengestaltung von 1964/65. Theodor Fischers Gesamtkunstwerk des Museumsbaues ist dabei durch den geplanten Verlust der zugehörenden, ebenfalls denkmalgeschützten Freiflächengestaltungen gefährdet.
Angesichts von Verkehrsdominanz und leicht zu behebenden Mängeln wäre eine Umgestaltung unter Erhalt und Stärkung der Denkmaleigenschaften zu begrüßen – zumal die Nutzungsziele von Förderprojekt und Wettbewerb bereits im Bestand angelegt bzw. leicht zu erreichen sind: doppelte Gelenkfunktion nach Wilhelmshöhe und zum Weinberg, „Adressbildung“ der Kulturbauten, grüner Stadtplatz, unterschiedliche Aufenthaltsqualitäten.
Die Forderung nach einer grundlegenden Neuplanung war jedoch schon in der (nicht öffentlichen) Auslobung enthalten, auf Basis eines dezernatsinternen Workshops aus dem Jahr 2018; der Denkmälerbestand war in der Auslobung ausdrücklich zur Disposition gestellt und z. T. erst gar nicht wiedergegeben. Am aktuellen Projekt, das aus den prämierten Entwürfen ausgewählt wurde, hält das Baudezernat derweil unbeirrt im Wesentlichen fest – trotz deutlicher Einsprüche des LafDH, grundlegender Kritik im Preisgericht und breiter Bürgerproteste.
Hessisches Landesmuseum
Das Hessische Landesmuseum (1910–13) ist ein Hauptwerk Theodor Fischers. Beispielhaft setzte er hier seinen Anspruch um, Architektur, Städtebau und Freiflächengestaltung als Einheit zu behandeln. Mit der geplanten Zerstörung der Außenanlagen würde das Museumsgebäude zu einer zusammenhanglosen Spolie.
Mit dem Museum stärkte Fischer die Scharnierfunktion des Platzes: Während dessen stark abfallende Nordosthälfte in Ausrichtung und Maßstab zur Königsstraße gehört, ist die gesamte obere Südhälfte mit Fischers Museum nun auf die Wilhelmshöher Allee und den südlich angrenzenden Weinberg bezogen. Dreh- und Angelpunkt ist der Museumsturm, als Point de vue der Königsstraße und als Dominante des Platzes. Der damals vorhandene Baumring der Platzfläche band beide Hälften zusammen, bildete (ganz in Fischers Sinne) einen niedrigeren, wirkungsvollen Vordergrund für das Museum und gab den Blick auf die Torgebäude und die architektonisch wichtigen Längsseiten des Platzes frei.
Die beiden Schauseiten des Museums konzipierte Fischer situationsbezogen ganz unterschiedlich: Vor dem Haupteingang setzt sich die Museumsarchitektur streng axial und rechtwinklig in den Außenraum fort; an der Seite zur Weinbergstraße dagegen sind die Baukörper malerisch gruppiert, in den Baumbestand des angrenzenden parkartigen ‚Fürstengartens‘ eingebettet und auf einen gebogenen Parkweg bezogen.
Kleine Allee und Vorplatz bilden den Auftakt einer axialen Raumfolge, die im Hauptsaal des Museums gipfelt. Enge und Weite, Dunkel und Hell wechseln sich ab, Symmetrie und rechte Winkel dominieren. Dieses Konzept bestimmt die gesamte Planungsgeschichte seit 1908, mit einem Vorläufer im Wettbewerbsbeitrag 1907. Gemäß Fischers Ideal sind die Freiflächen verlängerte Architektur und das Museum besitzt einen eigenen Vorplatz abseits des Durchgangsverkehrs. Dieser rechteckige Vorplatz (9:4) wird von Mauern dezent eingefasst, und das dunkle Pflaster kontrastiert direkt mit dem hellen Travertin von Fassade und Vorplatzmauern. Fischer behielt diese Mauern im Entwurfsprozess sogar dann bei, als zeitweise die Nordostmauer den Vorplatz von einem Bürgersteig getrennt hätte; und als er schließlich mehrere Bestandsbäume hinter der Torwache übernahm, integrierte er diese in das übergeordnete Rechteck.
Bis auf einzelne Stellen in der Allee (leicht instandsetzbar) und die Vegetation ist dieses Gesamtkonzept vollständig erhalten. Alle Bestandteile stehen unter Denkmalschutz.
An der Ostseite dagegen bezog sich Fischer auf die benachbarte Murhardsche Bibliothek von 1903–05 und den vorgelagerten Eingangsbereich des Fürstengartens (beim Bibliotheksneubau umgestaltet). Schon im Wettbewerb hatte Fischer eine Ensemble-Bildung mit der Bibliothek angestrebt; das Preisgericht verlangte zudem die Berücksichtigung der künftigen Bibliothekserweiterung und den Erhalt bestehender Bäume. Fischer stimmte nun die Architektur darauf ab (Entwürfe seit 1908) und bezog sie auf einen vorhandenen Parkweg – ausgelegt auf die Schrägblicke aus Richtung Königsstraße / Weinbergstraße. Dass ein Ausbau dieses Parkwegs als Haupterschließung zum Fürstengarten nicht umgesetzt wurde, dürfte im Geländeprofil begründet sein. Umgebung und Bauwerk bilden auch hier eine Einheit, die Freiflächen sind denkmalgeschützt (Teil der Gesamtanlage „Fürstengarten“); für Wege-Oberflächen, Baum- und Gehölzpflanzungen wäre ein denkmalgerechtes Konzept wichtig.
Die aktuellen Planungen bedrohen nun Fischers Gesamtkonzept: Für den kreisrunden „Kiefernhain“ zwischen einheitlicher heller Pflasterung soll der Museumsvorplatz zerstört, die NO-Mauer abgebrochen und nur noch im Boden markiert werden. Die Allee verlöre in der einheitlichen Pflasterfläche (samt verschiedengroßen Baumscheiben) ihre Konturen. Zwischen Museum und Bibliothek ist die bisherige Parkstruktur durch eine streng rechtwinklige Struktur mit Parkplatz, Hecken und Spielplatz gefährdet, die auf die Architektur, die Schrägblicke und die Ensemble-Wirkung beider Bauten keine Rücksicht nimmt; eine Variante für einen Erhalt des bisherigen Hauptwegs ging bisher nicht in die Gesamtpräsentation der Planung ein. Die hohen Kiefern der Platzfläche schwächen grundlegend die Funktion des Museums als Scharnier, Point de vue und Dominante.
Grünflächen des Brüder-Grimm-Platzes
Die inneren Grünflächen des Brüder-Grimm-Platzes wurden in den Jahren 1964/65 neu gestaltet. Konzipiert wurde die denkmalgeschützte Anlage durch den Leiter des Kasseler Stadtgartenamts, Albrecht von Eichel-Streiber. Anlass der Neugestaltung war die Verbreiterung der Wilhelmshöher Allee 1962/63. Das Stadtgartenamt beschloss daraufhin, die verbliebenen seitlichen Grünflächen in „drei ruhige Plätze zum Verweilen“ umzugestalten.
In direkter Nähe zur neuen Fußgängerzone wurde ganz bewusst Aufenthaltsqualität geschaffen, eine „Oase der Ruhe und Besinnung“: auf zwei Seiten mit Blickbeziehungen in die umgebende Landschaft, auf der dritten mit Blick in die Hauptgeschäftsstraße, jeweils zwischen Rasenflächen und bunten Blumenpflanzungen. Diese Blickbezüge entsprechen zugleich der traditionellen Gelenkfunktion des Platzes zwischen Innenstadt, Wilhelmshöher Allee und Weinberg. Für bessere Ausblicke hob man das Niveau an, stellte Sitzbänke auf und legte zu deren Erschließung Wege an. Von Eichel-Streiber konstatierte: „Man sitzt im Grünen und doch mitten in der Stadt, den Verkehr vor den Augen. Das ist doch ganz reizvoll.“
Die Anlage zeichnet sich durch eine gut erhaltene qualitätvolle Materialität aus: Niedrige Stützmauern sowie Stufen und Plattenreihen der Wege bestehen aus Wesersandstein, kombiniert mit sehr selten gewordenen bunten Waschbetonplatten mit Weserkies, die noch handwerklich gefertigt wurden. Diese Gestaltung orientiert sich an bekannten Beispielen der Nachkriegsmoderne, wie etwa am Berliner Hansaplatz; dessen Schöpferin, Prof. Herta Hammerbacher, war zuvor maßgeblich an der Kasseler Bundesgartenschau 1955 beteiligt gewesen und hatte dabei eng mit Albrecht von Eichel-Streiber zusammengearbeitet.
Anlässlich der Bundesgartenschau 1981 ließ sein Nachfolger Hans Jürgen Taurit in den Jahren 1979/80 eine Instandsetzung durchführen, die das Gestaltungskonzept wahrte und zugleich weiterentwickelte: Die Bepflanzung wurde erneuert bzw. ergänzt, Wege und Sitzbänke behielt man in ihrer Gestaltung und Materialität bei. Im südöstlichen und nördlichen Segment wurden lediglich die westlichen Wege-Enden in ihrem Verlauf etwas verändert, was zum einen die Verbindung in den nahen Fürstengarten und zum anderen die optische Verbindung zum südwestlichen Segment stärkte; dort verzichtete man dafür auf zwei Sitznischen. Zu den Randstraßen hin pflanzte man höhere Ziergehölze und Stauden.
Der Bestand ist bis heute sehr gut erhalten, die Tradition der Blumenpflanzungen wurde erst 2020 während des laufenden Wettbewerbs eingestellt, der Pflegeaufwand seither stark reduziert. Die Dominanz der umgebenden Verkehrsflächen und die inzwischen stark ausgewachsenen Sträucher, die die Randstraßen abschirmen, erweisen sich heute als städtebauliche und funktionale Schwächen. Statt das gartenhistorisch bedeutende Kulturdenkmal erneut behutsam weiterzuentwickeln, plant die Stadt Kassel nun seine Zerstörung zugunsten einer völligen Neugestaltung – mit der „großen Geste“ eines mittigen, nicht betretbaren Kiefern-„Walds“.
Text: Maren Brechmacher-Ihnen, Christian Presche
Redaktion: Carola Dittrich