Ehem. FDJ-Hochschule am Bogensee mit NS-Sommerhaus

Eintrag veröffentlicht am 22.03.2024

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Ehem. FDJ-Hochschule am Bogensee mit NS-Sommerhaus
Platz der Freundschaft 1 a
16348 Wandlitz OT Bogensee

Erbaut: ab 1951 (Bereich des NS-Sommerhauses ab 1936)
Entwurf: Gottfried Wagner und Kollektiv (Hochbau der 1950er Jahre), Walter Funcke (Gartenarchitektur der 1950er Jahre)
Geschütztes Baudenkmal: ja, seit 1996

Status: akute Gefährdung

Der sich abzeichnende Verlust hochkarätiger DDR-Architektur schreitet weiter voran. Neben dem SEZ in Berlin droht auch der ehem. FDJ-Hochschule am Bogensee mit dem Sommerhaus von Joseph Göbbels der Abriss. Dabei hat die Anlage ungeahntes Potenzial: Mit ein bisschen Mut könnte das Land Berlin das politisch belastete Areal zum nachhaltigen Zukunftsstandort entwickeln.

Unterstützung: KulturerbeNetzBerlin

Lageplan des Geländes. Foto: Redaktion Rote Liste

Leerstand schadet dem Baubestand. Wenn Nutzung und Wartung ausbleiben, setzt ein langsamer Verfall ein, der sich schnell unaufhaltsam multipliziert. Für das rd. 17 Hektar große Areal der ehemaligen FDJ-Hochschule am Bogensee, nördlich von Berlin in der Gemeinde Wandlitz im Land Brandenburg, wird die Zeit knapp. Seit Ende der 1990er Jahre liegt das Gelände brach. Mehrere Anläufe zur Veräußerung scheiterten. Die Rote-Liste-Redaktion befragte Andreas Barz vom Kulturerbenetz Berlin als Spezialisten für Bottom-up-Objektentwicklung sowie Prof. Dr. Jörg Haspel, den ehemaligen Landeskonservator von Berlin, als Vertreter der amtlichen Denkmalpflege zu diesem Fall.

Kommentar von Andreas Barz, Mitgründer und Vorstandsvorsitzender der Studentendorf Schlachtensee eG

Ein geschichtsträchtiges Areal

Blick über gestaltete Außenanlagen auf das Lektionsgebäude der „Jugendhochschule Wilhelm Pieck“. Foto: Redaktion Rote Liste

Die ehemalige FDJ-Hochschule der DDR am Bogensee besteht aus drei unterschiedlichen Teilen, die jeweils ganz verschiedene historische Zeitschichten bedienen und in der zukünftigen Entwicklung differenziert betrachtet werden müssen. Der älteste Teil geht auf den Sommersitz des NS-Propagandaministers, Joseph Goebbels, zurück und ist weitgehend im Original erhalten. Die zweite Zeitschicht ab 1951 bildet der schlossartige Schulkomplex mit Lektionsgebäude, Gemeinschaftshaus und den vier Internatsgebäuden sowie den später hinzugekommenen Nebengebäuden wie Sporthalle, Heizzentrale, Werkstatt- und Garagengebäude einschließlich der Freiflächen. Schließlich bildet die kleine Plattenbausiedlung der späten DDR den dritten Nutzbereich. Das Land Berlin als Eigentümerin des Areals prüft den Abriss und die anschließende vollständige Renaturierung der Anlage am Bogensee als Ausgleichs- und Ersatzfläche, will sich jedoch auch Nutzungen für seine Inwertsetzung nicht verschließen.

Die ehemalige Jugendhochschule ist heute Täter- und Erinnerungsort nationalsozialistischer Gewaltherrschaft, aber auch des Unrechtsregimes in der DDR. Abriss und Neubau war nach dem Krieg und für die SED keine Option und die Gebäude zunächst ideal für den Aufbau einer Jugendschule. Wolfgang Leonhard („Die Revolution entlässt ihre Kinder“), der aus seinem Moskauer Exil in die DDR zurückkam, war einer der ersten Lehrer in Bogensee, bevor er 1949 zunächst nach Jugoslawien und später in die Bundesrepublik flüchtete. Doch die NS-Villa wurde rasch zu klein und so wurde ein Kollektiv um die Architekten Hermann Henselmann und Kurt Liebknecht gebeten, eine neue Schule in unmittelbarer Nachbarschaft zu entwerfen. Die ersten Skizzen einer Waldschule mit Pavillons im Kiefernwald wurden jedoch vom SED-Generalsekretär Walter Ulbricht in Bausch und Bogen verrissen. Der forderte nun eine sozialistische und staatstragende Architektur für den Schulcampus. Innerhalb weniger Wochen wurde der Entwurf neu gezeichnet, nun im Stil der Nationalen Tradition mit Säulen, Balustern und allerhand Fassadenapplikationen. Der Bau wurden dann innerhalb kurzer Zeit realisiert.

Festsaal des Gemeinschaftshauses. Foto: Andreas Barz

So rätselhaft der Ort für eine Jugendschule am Anfang war, so richtig war es, diesen Ort zum internationalen Bildungsort für junge Menschen zu erklären, auch wenn für nicht wenige der Besuch der Kaderschmiede oftmals nicht freiwillig erfolgte und dort junge Menschen aus allen Teilen der Welt auf den Systemwechsel und den antikapitalistischen Kampf eingeschworen wurden. Zum kulturellen Leben in Bogensee gehörten Konzerte, Theater- und Tanzveranstaltungen.

Die Ausstattung mit der größte Simultandolmetscheranlage mit Kopfhöreranschluss in den Aula-Sesseln wurde 1981 genutzt, um die Pressekonferenz von Helmuth Schmidt während seines DDR-Besuches am 13. Dezember 1981 durchzuführen. Der abgeschiedene Ort war ideal, um ohne große Aufmerksamkeit der Bevölkerung ein internationales Pressezentrum für über 1000 akkreditierte Journalisten aus zahlreichen Ländern einzurichten.

Was könnte werden?

Die schlossartige Architektur und die dekorativen Innenräume der Jugendschule sind bis heute weitgehend unverändert erhalten. Bis auf undichte Fenster und Türen – die Dächer sind gerade für rund drei Millionen Euro erneuert worden – ist vieles noch vorhanden. Das Land Berlin unterhält das leerstehende Areal.

Das Vestibül des Lektionsgebäudes. Foto: Andreas Barz

Der Denkmalbereich Bogensee braucht in Zukunft eine große und vor allem internationale Bühne. Er braucht engagierte Streiter und Kreative, die diesen politisch aufgeladenen Ort neu codieren und mit neuem Leben füllen. Dabei ist ein sensibler Umgang mit der vorhandenen Bausubstanz oberstes Gebot.

Eine Dokumentations- und Bildungsstätte getragen von Einrichtungen wie der Stiftung Topographie des Terrors, der Stiftung Aufarbeitung und/oder dem Zentrum für Zeithistorische Forschung (ZZF), die sich mit der NS- und DDR-Geschichte auseinandersetzen und diese vor Ort reflektieren, könnte hier ein neues Zuhause finden. Es gibt die großen Kultur- und Gemeinschaftsbauten mit Bühnen und einem Sommertheater – sie warten nur darauf, wieder bespielt zu werden. Gerne auch als Festivalort. Mit einer Mischnutzung aus Forschung und Wissenschaft, temporärem Wohnen, Bildung, Kunst und Kultur ist eine Transformation des Ortes unter sozialen und gesellschaftlichen Aspekten möglich. Insbesondere für die Wissenschaft könnte der Ort neu entwickelt werden: in Zusammenarbeit mit den Brandenburger und Berliner Universitäten könnte hier ein internationales Begegnungszentrum (IBZ) oder sogar eine Cité universitaire nach Pariser Vorbild als science retreat im Brandenburgischen Wald entstehen.

Stattdessen verkümmert die Anlage und wird nicht selten zum Pilgerort von Neonazis und Rechtsradikalen. Auf diesem Areal könnte ein partizipativer Nachdenkprozess für eine langfristige Nutzung initiiert werden und angemessene öffentliche Zwischennutzungen könnten Vandalismus und Zerstörung sowie dem Leerstand trotzen. Berlin und Brandenburg sollten die Initiative für eine gemeinsame Metropolen-IBA ergreifen und Bogensee zur Denkschule für die Entwicklungen in Metropolenräumen machen. Das wäre ein wunderbarer Auftakt, für eine neue Kooperation beider Länder und durch die Doppelverantwortung ein Modellprojekt für einen integrativen Planungsprozess. Blaupausen für solche Verfahren gibt es aktuell mit dem Modellvorhaben Mäusebunker und dem Haus der Statistik in Berlin, aber auch darüber hinaus in der Bundesrepublik reichlich.

Auch Bund, Landkreis und Gemeinde sind davon überzeugt, dass der Denkmalbereich Bogensee als herausragendes Zeugnis der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts einen bleibenden Platz verdienen muss und der Erhalt und die konzeptionelle Erneuerung des gesamten Campus gemeinsame Zukunftsaufgabe sein sollte.

Kommentar von Prof. Dr. Jörg Haspel

Bogensee – eine unersetzliche kulturelle und ökologische Ressource

Es wirkt wie ein Idyll, ein Erlebnis- und Erholungsort der besonderen Art für Großstadtflüchtlinge nahe Berlin. Wasser, Wald und markante Architekturen prägen den ersten Eindruck. Wer Bogensee besucht, den erwartet eine faszinierende Einheit von Natur und Kultur: Ein monumentales Schloss und ein einladendes Landhaus, eingebettet ins Grüne, versprechen anregende Entspannung. Bogensee ist freilich auch ein außergewöhnlicher historischer Ort. In der historischen und politischen Topographie der Metropolregion Berlin-Brandenburg markiert das Bau- und Landschaftsensemble einen hochverdichteten Ballungsraum deutscher Diktaturgeschichte des letzten Jahrhunderts.

Der bis 1939 als Landsitz für Joseph Göbbels erbaute Waldhof. Foto: Redaktion Rote Liste

Der am Vorabend des Zweiten Weltkriegs fertiggestellte, vormals „Waldhof“ genannte weitläufige Landsitz des NS-Reichspropagandaministers Josef Goebbels (1897–1945) und die 1946 eröffnete – später zu einer streng symmetrisch und hierarchisch gruppierten Gesamtanlage ausgebaute – „Jugendhochschule Wilhelm Pieck“ repräsentieren in unmittelbarer Nachbarschaft ein Kapitel politischer Auftragsarchitektur im Dienste autoritärer Regime. In dieser räumlichen und historischen Konstellation und Wechselwirkung darf das architektonisch-künstlerische Erbe wohl deutschlandweit, ja europaweit als einzigartig gelten. Dass das Bau- und Landschaftsensemble Bogensee nicht auf Anhieb totalitäre Bilderwartungen von faschistischer oder stalinistischer Propagandaarchitektur bedient, macht den Ort sogar besonders wertvoll: Auch im Grünen vor den Toren der Stadt und in unspektakulären Bauformen ließ sich autoritäre Staatspropaganda machen und verbreiten.

Bogensee ist ein hochkarätiger Erinnerungsort der Begegnung mit undemokratischen Phasen deutscher Geschichte im 20.Jahrhunderts – und Bogensee bietet ein außergewöhnliches Potential als authentischer Lernort zur historischen und politischen Bildungsarbeit: Nur wer die Geschichte kennt, kann die Gegenwart verstehen und die Zukunft gestalten, und nur wer Propaganda als solche erkennt, kann sich dagegen wehren, heißt es bisweilen. Die Bauzeugnisse des nationalsozialistischen Propagandaapparats und der sozialistischen Kaderschmiede bieten im Umland von Berlin beste Gelegenheit für diese Selbstaufklärung. Wer Bogensee ganz oder teilweise aufgeben will, riskiert nicht nur ohne Not vermeidbare Denkmalverluste (und als öffentlicher Denkmaleigentümer wohl auch einen politischen Vertrauensverlust in die Glaubwürdigkeit und Vorbildwirkung des Staates bei  denkmalrechtlichen Entscheidungen), sondern betreibt auch Raubbau an wichtigen Erinnerungsmöglichkeiten für eine demokratische und freiheitliche Gesellschaft – ein Verlust, der auch künftigen Generationen die Begegnung mit authentischen Zeugnissen einer schwierigen Vergangenheit und Möglichkeiten, aus der Geschichte zu lernen, entzöge.

Ehem. Ledigenwohnhaus auf dem Gelände. Foto: Andreas Barz

Das einzigartige Bau- und Landschaftsensemble auf dem Barnim verkörpert ein kulturelles und historisches Schutzgut von außergewöhnlicher Bedeutung. Im Zeichen der Nachhaltigkeit und der energieschonenden Bauproduktion und Siedlungsentwicklung kommt dem umfänglichen Denkmalkomplex aber auch ein besonderer Stellenwert als ökologische Ressource und Potential für ein gemeinsames Modellprojekt der Länder Brandenburg und Berlin zu. Die Baubranche mit ihrer Abrissbilanz und Bauschuttproduktion zählt bekanntlich zu den Hauptverursachern einer verheerenden Energiebilanz und Ressourcenverschwendung. Auf dem Weg zu einer bestandsorientierten und ressourcenschonenden Bau- und Denkmalkultur möchte man dem unbequemen Kulturerbe des „Dritten Reichs“ und der „Deutschen Demokratischen Republik“ eine Leitbildfunktion wünschen: Der vielzitierte Paradigmenwechsel von klimaschädlichen Abriss- und Neubaustrategien zu einer erhaltenden Um-Baukultur und Nachnutzungspraxis braucht glaubwürdige und ermutigende Pilotprojekte. Es gibt wohl kaum einen Ort in der Hautstadtregion Berlin-Brandenburg, der besser geeignet wäre, die Kooperation der beiden Bundesländer auf dem Gebiet der Kulturerbepflege und der historischen Aufarbeitung deutscher Diktaturgeschichte mit Zielen einer nachhaltigen und ressourcenschonenden Stadt-Land-Entwicklung zu verbindenden als ein integriertes städtebauliches Pilotprojekt Bogensee.

Fazit

Die Anlage am Bogensee ist ein Denkmal von nationaler Bedeutung. Die weitläufigen Flächen, der leerstehende Gebäudebestand und die Eigentümerschaft durch das Land Berlin liefern einen einzigartigen Nährboden für einen Ideenwettbewerb für eine zukunftsgerichtete und ganzheitliche Nachnutzung. Denn die Metropolregion Berlin-Brandenburg wächst weiter. Um Arbeitsplätze zu sichern, müssen der stark wachsenden Flächennachfrage von Unternehmen Rechnung getragen und Start-ups attraktive Bedingungen geboten werden. Das Areal Bogensee bietet ideale Bedingungen, um im partizipativen Prozess Aneignungen und Entwicklung ohne Großinvestor auszuprobieren. Ideen gibt es genug. Längst überfällig ist das Bekenntnis des Landes Berlin zur Verantwortung für diesen Geschichtsort und die Initialzündung zum Nachdenken über die zukünftige Rolle der ehem. FDJ-Schule am Bogensee im 21. Jahrhundert.

Redaktion: Niklas Irmen / Corinna Tell

 

Oben: Ansicht Lektionsgebäude. Foto: Andreas Barz