Ehemaliger jüdischer Tempel

Eintrag veröffentlicht am 10.12.2019, aktualisiert am 08.03.2021

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Ehemaliger jüdischer Tempel
Poolstraße 11–14
20355 Hamburg

Erbaut: 1842–1844
Entwurf: Johann Hinrich Klees-Wülbern (1800–1845)
Geschütztes Baudenkmal: ja, seit 2003

Status: Substanzverlust

Die Reste des Jüdischen Tempels von 1844 in der Hamburger Poolstraße sind ein unverzichtbares Dokument für die Geschichte des liberalen Judentums, dessen architektonische und liturgische Neuerungen von einer zunehmenden Emanzipation der Menschen jüdischen Glaubens kündeten. Die Synagoge war der weltweit erste Tempel des liberalen Judentums. Es droht der Zusammensturz der Ruine, die seit Jahren ungeschützt der Witterung ausgesetzt ist.

Unterstützer: Institut für die Geschichte der deutschen Juden (Hamburg) // Bet Tfila – Forschungsstelle für jüdische Architektur in Europa // Foundation for Jewish Heritage, Denkmalverein Hamburg

Apsis. Foto: Kristina Sassenscheidt

Das Ensemble von jüdischem Tempel und klassizistischen Wohnhäusern, das 1842-44 im Auftrag des Neuen Israelitischen Tempelvereins nach Plänen des Architekten Johann Hinrich Klees-Wülbern (1800-1845) errichtet wurde, stellt als weltweit erster Tempel des liberalen Judentums ein „jüdisches Erbe von Weltrang“ (Galina Jarkova, Liberale Jüdische Gemeinde) dar. Durch Kriegstreffer 1944 beschädigt, sind von der dreischiffigen, neugotischen Synagoge nur die Apsis und der westliche Vorbau sowie die vorgesetzten Wohnhäuser erhalten. Das Ensemble, von der Foundation for Jewish Heritage, London, in die „Top 19 Watchlist“ der am stärksten bedrohten jüdischen Relikte in Europa aufgenommen, wurde 2003 unter Denkmalschutz gestellt. Der Tempel befindet sich heute durch eine undichte Dachdeckung im Bereich der Apsis, eindringende Feuchtigkeit und loses Mauerwerk in einem besorgniserregenden Zustand. Dies mahnte bereits der Abgeordnete der LINKEN in einer Schriftlichen Kleinen Anfrage vom 26.6.18 an. Seitdem wurde nichts unternommen, um das Gebäude vor weiterem Verfall zu bewahren. Eine Einladung zur Anhörung mit Sicherungsverfügung wurde sehr spät, erst am 22.11.2019 von der Behörde verschickt. Der Hamburger Denkmalverein fordert in einer Stellungnahme vom 31.10.2019 neben einer zeitnahen Umsetzung einer Sicherung eine „denkmalverträgliche und der Geschichte des Ortes angemessene Nutzung“ des Areals. Miriam Rürup vom Institut für die Geschichte der deutschen Juden empfiehlt, dass „die Stadt diesen kulturellen Schatz in ihrer Mitte als Teil des eigenen Kulturerbes anerkennen und beispielsweise selbst als Käuferin des Geländes eintreten würde.“

Tordurchfahrt. Foto: Kristina Sassenscheidt

Der Bau ist ein einzigartiges Zeugnis für die Reformkraft des Neuen Israelitischen Tempelvereins in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und die Emanzipation der rechtlich gleichgestellten Menschen jüdischen Glaubens in Hamburg. Der Vorgängerbau des Tempels in der Poolstraße war seit Reformbeginn 1817 die erste offizielle deutsche reformierte Synagoge mit Orgel, gemischtem Chorgesang und Predigt in deutscher Sprache. Die Strahlkraft der Reform reichte von Leipzig bis Baltimore und New York, wo das – umstrittene – Hamburger Gebetbuch übernommen wurde. Brisant war das Hamburger Reformprojekt auch dadurch, dass das hier „Tempel“ genannte Gotteshaus einen Verzicht auf die Rückkehr ins Heilige Land und den dortigen Wiederaufbau des Jerusalemer Tempels bedeutete. Für die Einweihung des neuen Tempels in der Poolstraße, in dem Musik einen ungewohnt großen Platz innerhalb der Liturgie einnehmen sollte, komponierte Felix Mendelssohn ein Stück. Als außergewöhnliches und von der traditionellen Synagogenarchitektur abweichendes Element sah der neue Tempel einen gemeinsamen Eingang für Männer und Frauen vor und auch die unvergitterte Empore, auf der die Frauen dem Gottesdienst beiwohnten, war ein absolutes Novum.

Text: Iris Wenderholm

Oben: Tempelruine. Foto: Kristina Sassenscheidt