Ensemble Tucherpark
Ensemble Tucherpark
Am Tucherpark
80538 München-Schwabing-Freimann
Erbaut: städtebaulicher Grundplan des Architekten Sep Ruf 1967, Fertigstellung Mitte der 1980er Jahre
Entwurf: Architektur: Sep Ruf (1908–1982) / Park: Karl Kagerer (1930–2015)
Geschütztes Baudenkmal: ja
Status: drohende Gefährdung
Der Tucherpark ist ein Paradebeispiel für anspruchsvolle Architektur und künstlerische Landschaftsgestaltung der 1960er bis 1980er Jahre. Architekt Sep Ruf hat es geschafft, seine Gebäude im Einklang mit der Natur und für den Menschen zu bauen. Im Tucherpark scheinen die Gebäude und die Kunst im Park von Karl Kagerer zu schweben – aber wie lange noch? Wie viele Abbrüche, Ersatzbauten und Neubauten sind für das Ensemble verträglich?
Unterstützung: Moderne Regional, Claudia Mann Dipl. Ing. FH Architektin, München, Denkmalnetz Bayern
Der Tucherpark – ein Konflikt zwischen „Investment“ und bedeutendem Denkmalensemble?
2019 wurde der Tucherpark von der Hypo-Vereinsbank an die Commerzbank und den Projektentwickler HINES verkauft. Die Abendzeitung berichtete am 4. Dezember 2019 über den „Milliardendeal Tucherpark“. Sollte ein Bebauungsplan in der vorliegenden Form genehmigt und umgesetzt werden, besteht die große Gefahr, dass das Ensemble in seinem anspruchsvollen, künstlerisch gedachten Wesen verändert und damit seiner historischen Gestaltung beraubt wird.
Der Tucherpark – zur Einführung
Der Tucherpark ist nach allgemeiner Auffassung ein schützenswertes Kleinod der Architektur und Gartenkunst mit zahlreichen Skulpturen bedeutender Bildhauer und Bildhauerinnen, ein Ensemble und Baudenkmal im Sinne des Bayerischen Denkmalschutzgesetzes mit überregionaler, geschichtlicher, künstlerischer und städtebaulicher Bedeutung, entworfen und errichtet nach einem Grundplan von Sep Ruf, eingebettet in eine Kulturlandschaft zwischen dem Englischen Garten und der Isar.
Bei allen zu bewertenden Belangen des Naturschutzes, Landschaftsschutzes, der Klimaziele der Landeshauptstadt München (LHM) und des Denkmalschutzes hat sich die LHM die große kommunalpolitische Aufgabe gestellt, den Tucherpark als Ensemble, Biotop und Park in seinen wesensprägenden Bestandteilen zu erhalten und gleichzeitig zu einem lebendigen, nachhaltigen und klimaneutralen Quartier weiterzuentwickeln.
Der Tucherpark im Porträt
Lage in München
Östlich im direkten Anschluss an den Englischen Garten (Listennr. D-1-62-000-1545); westlich der Ifflandstraße inmitten des Regionalen Grünzugs der Isar (ehemals Landschaftsschutzgebiet); nördlich vom Ensemble Widenmayerstraße (E-1-62-000-66); nord-östlich Hirschauer Straße 6 (Gebäude, Garten und Einfriedung D-1-62-000-2664)
Bauten im Ensemble Tucherpark:
- Sep Ruf, (TZ) Technische Zentrum der ehem. Bayerischen Vereinsbank (Am Tucherpark 12), 1968–1970, Einzeldenkmal D-1-62-000-8508
- Sep Ruf, (VTO) Verwaltungsgebäude der ehem. Bayerischen Vereinsbank (Am Tucherpark 14–16), 1970–1975; Fritsch + Tschaidse, Einbau Casino 1998–2000; Peck Daam Architekten, Sanierung Verwaltungsgebäude (Am Tucherpark 16), 2012
- Sep Ruf mit Curtis & Davis (New York), Hilton-Hotelhochhaus, 15-geschossig (Am Tucherpark 7), 1970–1972
- Sep Ruf, (Eis 4) ehem. Rechenzentrum IBM Deutschland (Am Eisbach 4), 1969–1972
- (Eis 3) Helmut Höflich, Ernst Heinsdorff, ehem. Rechenzentrum Landeszentralbank (Am Eisbach 3), 1973, BDA-Preis 1975
- (Eis 5) Bauabteilung Bayerische Vereinsbank, ehem. Sport- und Freizeitanlage (Am Eisbach 5), ab 1972
- Uwe Kiessler, (VTW 3) ehem. Verwaltungszentrale Bayerische Rückversicherung (Sederanger 4–6), 1971–1976, Aufstockung des einzelnstehenden Baukörpers, 1988–1990, Einzeldenkmal D-1-62-000-8697
- (VTW 2) Architektengemeinschaft Grünwald (Alfred Goller, Helmut Mayer, Ludwig Thomeier, Nachfolgebüro von Sep Ruf), Verwaltungsgebäude Bayerischen Vereinsbank (Sederanger 5), 1985/86
- (VTW 1) Georg Alexander Roemmich, Hans-Joachim Ott und Albert Zehenter, Verwaltungsbau der ehem. Bayerischen Vereinsbank (Am Tucherpark 1), 1985/86
- Hild und K, Tivoli Office, Tivoli Garden (Sederanger 1–3), 2013–2015, Landschaftsarchitekten: Keller Damm Roser (Ersatzbau für das EDV-Zentrum Landeszentralbank Bayern, 1971–1974, Abbruch 2013-2015)
Kunstwerke im Ensemble Tucherpark:
1. Zwillingsplastik, Isamu Noguchi, 1972, Plastik und Platz (Einzeldenkmal D-1-62-000-8508)
2. Vittoria, Marcello Mascherini, 1968
3. Ying-Yang Brunnen, Otto Wesendonck 1986
4. Ägäis, Toni Stadler, 1964
5. Activa, Herrmann Hollweck
6. Zeichen74, Bernhard Heiliger, 1974 (Einzeldenkmal D-1-62-000-8702)
7. Große Torfigur, Fritz Koenig, 1986
8. Die Last, Elfe Gerhart
9. Windhunde, Galliard-Sansonetti, wohl 1897
Bedeutungsaspekte
Geschichtliche Bedeutung
Als große, durchgrünte Bürosiedlung der späten 1960er Jahre ist der Münchner Tucherpark in Bayern einzigartig. Nicht nur die städtebauliche Grundfigur, sondern auch die offene Parklandschaft sowie die architektonische Gestaltung der Büro- und Technikgebäude sollten einen einheitlichen Entwurfsgedanken mit baukünstlerischem Anspruch erkennbar werden lassen. Mit dieser besonderen Zielsetzung gab es nur wenig Vergleichsbeispiele in der Bundesrepublik Deutschland. Zu nennen sind die Hamburger „City Nord“ oder die „Bürostadt Niederrad“ in Frankfurt am Main [1].
In Hamburg war eine ähnliche Ausgangslage wie in München ausschlaggebend gewesen für die Planung und Umsetzung des Büroparks am Rande der Innenstadt, denn ausreichend große innerstädtische Bauflächen fehlten. Die erste Phase der Bauwettbewerbe fand in den frühen 1960er Jahren statt; einzelne Großkonzerne, die ihre Verwaltungsbauten in der City Nord planten, hatten sich im Vorfeld hierzu verpflichtet. Eine großzügige Begrünung der Freiflächen war von vornherein vorgesehen gewesen. Es entstanden qualitativ hochwertige und für die Büroarchitektur der 1960er Jahre vorbildliche Bauten, wie die von Arne Jacobsen ab 1966 errichtete Hauptverwaltung der damaligen Hamburgischen Electricitäts-Werke (heute Vattenfall Europe AG) am Überseering oder das nach dem Vorbild eines Benzolringes aus Sechsecken entwickelte Verwaltungsgebäude der British Petrol (BP), welches das Kölner Büro Kraemer, Sieverts & Partner entworfen hat.
Auch bei der Bürostadt Niederrad in Frankfurt beabsichtigte man von Anfang an die Anlage von ausgedehnten Grünflächen zwischen den einzelnen Bürogebäuden, entsprechend dem damals als fortschrittlich geltenden Konzept einer „Bürostadt im Grünen“. Besonders hervorragend in seiner architektonischen Qualität gelten hier die Verwaltungsbauten der Firma Olivetti, 1968–1972. Egon Eiermann entwarf sie als „zwei auf trichterförmigen Betonpfeilern stehende Hochhaustürme“ [2, zit. n. Sara Sottanelli].
Städtebauliche Bedeutung: Alleinstellungsmerkmal?
Nach mehreren Abbrüchen im Ensemble muss die Hamburger City Nord als denkmalpflegerischer Bezugsfall inzwischen als verloren gelten. Auch gibt es in Hamburg keinen gestaltprägenden Grünzug innerhalb des Quartiers.
Bei der Frankfurter Bürostadt Niederrad, geprägt von Egon Eiermanns Olivettitürmen, sollte zwar ein parkartiges Ambiente entstehen, jedoch fehlt hier die Bereicherung des Freiraums durch Kunstwerke als konstituierendes Gestaltungselement. Niederrad ist mittlerweile durch Abbrüche und Nachverdichtungen ebenfalls erheblich verändert und in seiner ursprünglichen Entwurfsidee nicht mehr überliefert.
Ein dritter Bezugsfall wäre noch zu erwähnen, nämlich die IBM Hauptverwaltung in Stuttgart-Vaihingen. Eine Pavillon-Anlage nach Entwurf von Egon Eiermann, eingebettet in den umgebenden Wald, allerdings auch hier ohne Akzentuierung der Gesamtanlage durch freistehende Kunstobjekte. Dieses Ensemble wurde jedoch 1983/84 mit einem baugleichen Pavillon von Kammerer + Belz erweitert und es fehlt ihm der Kunstanspruch durch autonome Skulpturen in einer gestalteten Parkanlage, wie sie im Münchner Tucherpark jedem Besucher ins Auge sticht.
Baukünstlerische Bedeutung
Sep Ruf als einer der bedeutendsten Architekten der Nachkriegsmoderne bekam internationale Aufmerksamkeit durch die Errichtung des so genannten „Kanzlerbungalows“ für Ludwig Erhard und seine Nachfolger. Zusammen mit Egon Eiermann (1904–1970) arbeitete er seit 1962 im Planungsrat für die neuen Regierungsbauten in Bonn. Zuvor hatten Eiermann und Ruf bereits den Deutschen Pavillon für die Weltausstellung in Brüssel geschaffen. „Der deutsche Pavillon in Brüssel von 1958 wird zumeist nur mit Eiermann verbunden, die Konzeption der aufgeständerten, gleichsam schwebenden Pavillons stammt aber von Ruf.“ [Quelle 1]. Die frühe Idee eines leichten Zweckbaus im Grünen wird ersichtlich, wie sie wenige Jahre später im Tucherpark wieder zum Tragen kommen sollte. Mit abgesetzten, dominierenden Erdgeschoss-Zonen, horizontal und vertikal strukturierten Obergeschossen, transparenten Aluminium-/Glas-Fassaden sollten jegliche Anklänge an monumentale Machtarchitektur vermieden werden. Das Technische Zentrum entstand als erstes Gebäude im Tucherpark, die folgenden Bauten übernahmen dessen Gestaltungskriterien, mit dem ausgesprochenen Ziel, sich nicht nur in die vorhandene Kulturlandschaft einzupassen, sondern auch den Übergang zwischen dem Englischen Garten und der Isar zu gestalten.
Aus denkmalpflegerischer Sicht ist der Tucherpark von Sep Ruf, bis auf einen aus der Reihe fallenden Ersatzbau (2013-2015, Hild und K) bis heute überliefert. Anderen Ergänzungsbauten (1971–1976) nach Entwurf von Uwe Kiessler war es gelungen, sich kongenial in das Rufsche Gesamtkonzept zu integrieren. Diese Bauten sind inzwischen ebenfalls als Baudenkmäler nach dem Bayerischen Denkmalschutzgesetz erfasst. Nach wie vor zeichnet das künstlerische Gesamtkonzeption von Architektur, Kunst und Landschaft den Tucherpark in seiner überregionalen Bedeutung aus.
Denkmalgeschützte Parkanlage
Die Gebäude des Ensembles Tucherpark sind eingebettet in eine grüne, motivreich gestaltete Parklandschaft nach Entwurf des Landschaftsarchitekten Karl Kagerer, basierend auf Sep Rufs Grundlagenplan. Dabei setzt sich Kagerer bewusst und respektvoll ab von den Gestaltungsprinzipien des unmittelbar angrenzenden Englischen Landschaftsgartens, wie er im späten 18. Jahrhundert von Friedrich Ludwig von Sckell konzipiert worden war.
Kagerers realisierte Planung lässt uns im westlichen Teil des Tucherparks einen „Hallenwald“ durchschreiten, hohe und große Baumkronen dominieren hier das Erscheinungsbild. Der bewusste Verzicht auf optische Barrieren wie Zäune, Einfriedungen, Funktions- und Nebengebäude, Beschilderungen etc. bewirkt, dass die Landschaft direkt an die Bürogebäude heranführt. Dadurch werden diese nicht primär als Architektur, sondern vielmehr als Bestandteile des Parks wahrgenommen. Im östlichen Teil des Tucherparks überwiegt dagegen aufgrund der Straßen und dichten Gebäudestellung die Gestaltung des straßenbegleitenden Grüns.
Weitere Elemente dieser gestalteten Landschaftskulisse bilden auch der durch ein starres Betonbett gebändigte Eisbach mit seinen sanften und gleichmäßigen Schwüngen, sowie die beiden Brücken im Süden und Norden und der Seerosenteich.
Kunst am Bau: Skulpturen von internationalen Künstlern
Im Ensemble Tucherpark befinden sich neun Kunstwerke nationaler und internationaler Künstler. Hier zeigt Ruf seine Wertschätzung gegenüber der Bildenden Kunst und sein Bemühen um Einheit von Architektur, Landschaft und Kunst. Diese besondere Verbundenheit basiert auf seiner Lehrtätigkeit an der Münchner Akademie der Bildenden Künste, auf vielfältige Berater- und Gutachtertätigkeiten sowie auf seinen persönlichen Verbindungen zu Museumsdirektoren und Künstlern [1]. Im Tucherpark ist es ihm gelungen, mit der Kunst am Bau und der barrierefreien Parklandschaft einen öffentlichen Raum für die Bürger zu schaffen.
Die Kunstobjekte im Tucherpark sind im Listentext erfasst und damit Bestandteil des denkmalgeschützten Ensembles. Die „Zwillingsplastik“ von Isamu Noguchi und die Skulptur von Bernd Heiliger „Zeichen 74“ werden darüber hinaus als Einzeldenkmäler geführt. Warum ist jedoch die große Torfigur von Fritz Koenig, einem japanischen Torii nachempfunden, davon ausgenommen? Fritz Koenig (1924–2017) ist zweifelsfrei ein international bedeutender Bildhauer, unter anderem bekannt durch seine Große Kugelkaryatide in New York, der weltgrößten Bronzeskulptur der Neuzeit. Sie stand von 1971 bis zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001 zwischen den Zwillingstürmen auf dem Vorplatz des World Trade Centers. Und warum sollte der Ying-Yang Brunnen von Otto Wesendonck, Meisterschüler von Bernhard Heiliger, kein Baudenkmal sein?
Der Weg in die Gefährdungslage
Verkauf
2019 wurde der Tucherpark von der Hypo-Vereinsbank an die Commerzbank und den Projektentwickler HINES verkauft. Die Abendzeitung berichtete am 4. Dezember 2019 über den „Milliardendeal Tucherpark“. Der Verkaufspreis für das Areal wird in Insiderkreisen auf bis zu 1,2 Milliarden Euro geschätzt (Größe ca. 12 Hektar = ungefähr 25 Fußballfelder; 148.000 Quadratmeter Mietfläche für den offenen Immobilienfonds Hausinvest, 500 Hotel Zimmer im Hilton).
Nach Presseberichten kam es bald darauf zu ersten Kontakten zwischen dem Investor und der LHM. In Abstimmung mit der Stadtbaurätin fand eine Art Workshop unter Beteiligung der unterschiedlichen Behörden und Fachdienststellen statt. Das Ergebnis sollte in eine Art Masterplan einfließen, als Grundlage des Bebauungsplanverfahrens.
Masterplan – Nachverdichtung
Nach dem komplizierten Vorlauf startete die LHM zwischenzeitlich ein planungsrechtliches Verfahren, das von der Sep-Ruf-Gesellschaft veröffentlicht und dokumentiert wird (Sitzungsvorlage 20-26 / V 09562 Änderung des Flächennutzungsplanes mit integrierter Landschaftsplanung und Bebauungsplan mit Grünordnung Nr. 2189 Tivolistraße (nördlich), Englischer Garten (östlich), Isarring (südlich), Isar (westlich) – Aufstellungsbeschluss).
Kritikwürdige Punkte an der Nachverdichtung
Die Kritik an diesen weitreichenden Planungsabsichten macht sich an folgenden Überlegungen fest:
Monumentales Eingangstor im Süden mit den Neubauten Tivoli Ost und West
Die geplante Nachverdichtung des Ensembles im Süden mit den geplanten Gebäuden Tivoli Ost und West erscheint aus architektonischer Sicht als monumentales Eingangsportal oder Vorplatz in den Tucherpark, eine Art Esplanade. Ein derartiges Motiv entspricht sicherlich nicht der architektonischen Grundidee von Sep Ruf, eine derartige stadträumliche Aussage wirkt wesensfremd. Es wird vielmehr eine „harte Kante“ zum umgebenden Stadtbild geschaffen, die mit dem naturhaften Charakter des Tucherparks wenig gemein hat.
Bei dem Gebäude Tivoli West handelt es sich um ein Gebäude in einer Frischluftschneise die von einer Bebauung frei zu halten ist, siehe hierzu auch die Kritik der Regierung von Oberbayern. Regionale Grünzüge dienen der Verbesserung des Klimas, der Sicherung eines ausreichenden Luftaustausches, der Erholung und der Gliederung der Siedlungsräume. Nur durch einen ersatzlosen Verzicht auf Tivoli West kann städtebaulich, aus südlicher Sicht eine „grüne Kante“ und somit ein freier Blick in das Ensemble erreicht werden.
Die geplante Baumasse von Tivoli Ost erscheint an dieser Stelle als zu dominant. Eine Differenzierung des Baukörpers in Höhe (niedriger als das Technische Zentrum) und Grundfläche ist erforderlich um eine baukünstlerisch adäquate Affinität zum Werk von Sep Ruf zu finden. Das äußere Erscheinungsbild des Ensembles soll möglichst authentisch erlebbar bleiben. Das heißt, dass ein offener Blick auf das technische Zentrum und Hilton als Wahrzeichen des Ensembles Tucherpark erhalten bleiben muss.
Westlicher Flügel des Ensembles
Nach der verbindlichen Plandarstellung sollen die Ensemble Gebäude VTW 1 (1 Gebäude) und VTW 2 (2 Gebäude, hier jedoch vorerst nur Abbruch des Verbindungsbaus) im Kern erhalten bleiben. Die Eingangssituation von VTW 2 über den heutigen Verbindungsbau wird gestaltet durch den Ying-Yang Brunnen von Otto Wesendonck. Zwischen VTW 1 und VTW 2 ist der Seerosenteich mit der Skulptur „Ägäis“ von Toni Stadler und der Skulptur „Windhunde“ von Galliard-Sansonetti zu finden, in direkter Nähe zum Englischen Garten. Nur dem aufmerksamen Leser des Textteils erschließt sich der gewünschte Persilschein zum möglichen Abbruch von VTW 1 (1 Ensemblegebäude) und VTW 2 (2 Ensemblegebäude). Es heißt hier „… ein ensemblegerechter Ersatzneubau ist jeweils möglich …“.
Das Hilton war 1972 eines der ersten Münchner Hochhäuser innerhalb des Mittleren Rings und wurde mit der Olympiade 1972 eröffnet. Nur eine entsprechend bestandswahrende Sanierung von Gebäude und der umgebenden Grünflächen bzw. Außenanlagen gewährleisten eine zukunftsträchtige Weiterentwicklung des wertvollen Architekturensembles. Die Plandarstellung im Aufstellungsbeschluss-Entwurf legt jedoch nahe, dass es sich hierbei um einen Gesamtabbruch des Hilton handelt. Was für ein Verlust für das historische Kernstück des städtebaulichen und architektonischen Entwurfs von Sep Ruf!
Blickbezüge
Die zusätzliche Punkthausbebauung am Hilton-Hotel verstellt den Blick von Norden auf das architektonische Herzstück des Ensembles. Das Hilton Hotel ist der Mittelpunkt, das Wahrzeichen, der Dreh- und Angelpunkt des Gesamtensembles von Sep Ruf und muss unverändert in seiner architektonischen Anmutung erhalten bleiben. Eine Blicksperre ist mit dem Wesen der frei fließenden Blickbezüge nicht zu vereinbaren.
Die Nachverdichtung mit dem Neubau VTO-PH Neu zerstört den historisch geplanten und bis heute erhaltenen Landschaftsbezug innerhalb des Ensembles. Der Blick in den Zentralbereich mit dem Hilton Hotel sowie auf die Figur „Zeichen 74“ von Bernd Heiliger wäre von Osten kommend nicht mehr möglich. Dies bedeutet, dass der Einblick von außen in das Ensemble mit der bewegten Gebäude- und Höhenstaffelung entlang der Flanierstraße und dem Blick auf die dahinter liegenden Gebäude verloren zu gehen droht. Dies gilt auch von der Einfahrt der Straße Am Tucherpark an der Ifflandstraße auf das Hilton-Hotel und VTW 3 von Uwe Kiessler und in die Binnenräume der Straße Am Tucherpark entlang des Eisbachs.
Eisbach
Gewünscht wird eine vollständige Erschließung des Eisbaches für Fußgänger und Radler. Der Eisbach soll in Zukunft durch das Ensemble mäandern, er soll aus seinem Betonbett gehoben werden. Aufgrund der Fließgeschwindigkeit des Eisbachs wird dies vermutlich nur mit einer deutlichen Verbreitung und mit weitläufigen Abflachungen an den Rändern möglich sein. Dabei gehört der Eisbach in seinem denkmalgeschützten Betonbett zusammen mit dem Hilton-Hotel zu den städtebaulich dominanten Gesten von Sep Ruf im Tucherpark.
Stand der Dinge – was wird geschehen?
Stadtratsbeschluss
Zwischenzeitlich wurde der Aufstellungsbeschluss mit kleinen Änderungen vom Stadtrat angenommen. Dem Neubau Tivoli West im Süden der Grünflächen wurde nicht zugestimmt, ebenso hat sich der Stadtrat gegen den nördlichsten Neubau ausgesprochen. Doch immer noch handelt es sich dabei im ungünstigsten Fall um bis zu 13 Neubauten (mit den beiden Gebäuden RZ Neu und Tivoli West, diese drei Neubauten lägen außerhalb des denkmalgeschützten Ensembles, jedoch in sogenannter „Denkmalnähe“) innerhalb des denkmalgeschützten Areals!
Zu verdanken sind die geforderten Änderungen der Kritik der Regierung von Oberbayern und dem Bürgerbegehren „Grünflächen-erhalten.de“. Am 1. März 2023 war das Bürgerbegehren mehrheitlich vom Münchner Stadtrat (erneut) übernommen worden. Damit muss die Landeshauptstadt München aktuell bei allen laufenden und auch künftigen Planungen sicherstellen, dass Allgemeine Grünflächen im Flächennutzungsplan, sowie Grünanlagen laut Grünanlagensatzung erhalten bleiben.
Persilschein für den Abbruch von möglicherweise sechs Ensemblegebäuden
Mit dem vom Investor gewünschten Abbruch von ggf. sechs Ensemblegebäuden (mit Eis 3 und Eis 5 im Norden), darunter auch das Hilton-Hotel, könnte München ein Ensemble von überregionaler Bedeutung verlieren. Der Verdacht eines Persilscheins muss daher vor dem Abschluss des Bebauungsplan-Verfahrens eindeutig ausgeräumt werden, sowohl im zeichnerischen Teil des Masterplans, als auch im zugehörigen Textteil.
Kritik des Bayerischen Landesdenkmalrates
Der Landesdenkmalrat in Bayern hat zum Projekt Tucherpark folgenden Sitzungsbeschluss vom 29. September 2023 auf der Internetseite des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst veröffentlicht: „Im Süden und Norden des Geländes sollen jeweils in direktem Anschluss an die beiden als Einzeldenkmäler eingetragenen Bauten (Technisches Zentrum von Sep Ruf und ehem. Bayerische Rück-Versicherung von Uwe Kiessler) hohe Gebäude errichtet werden, die den Blick bzw. die Sichtachsen auf die Baudenkdenkmäler massiv beeinträchtigen würden. Zudem gefährdet die geplante Verdichtung die Durchlässigkeit zum Englischen Garten und damit die Eigenschaft des Tucherparks als geschütztes Ensemble. Des Weiteren wären die hohen Gebäude auch vom Englischen Garten aus deutlich sichtbar, innerhalb des Landschaftsparks würde der baumbestandene Horizont somit durch die hohen Gebäude empfindlich beeinträchtigt.
Der Landesdenkmalrat fordert die Landeshauptstadt München auf, die massive Gefährdung der Baudenkmäler und des Englischen Gartens nicht zuzulassen. Eine benachbarte Bebauung muss deutlich unter der Höhe der beiden Baudenkmäler bleiben. Die Verdichtung darf weder die Durchlässigkeit des Ensembles zerstören noch den Englischen Garten beeinträchtigen“.
Fazit
Sollte der Bebauungsplan in der vorliegenden Form genehmigt und umgesetzt werden, besteht die große Gefahr, dass das Ensemble Tucherpark in seinem anspruchsvollen, künstlerisch gedachten Wesen verändert und damit seiner historischen Gestaltung beraubt wird. Insbesondere der Parklandschaft droht eine unzulässige Zerstörung. Weiter steht zu befürchten, dass durch die Privatisierung der bislang öffentlichen Bereiche und durch die geplante Wohnnutzung der offene und zugängliche Park verschwinden wird. Damit wird die Chance verbaut, in Zukunft einen Mehrwert für die Öffentlichkeit und die Münchner Bürgerschaft zu erzielen.
Sep Ruf hat es geschafft, seine Gebäude im Einklang mit der Natur und für den Menschen zu bauen. Im Tucherpark scheinen die Gebäude und die Kunst im Park von Karl Kagerer zu schweben – aber wie lange noch? Wie viele Abbrüche, Ersatzbauten und Neubauten sind für das Ensemble verträglich? Wird die Kunst bis auf ein Minimum abgewertet? Was passiert mit dem denkmalgeschützten Park von Karl Kagerer?
Und schließlich: Ist die weitreichende Planung mit der Zielsetzung des Bayerischen Denkmalschutzgesetzes zu vereinbaren?
Text: Claudia Mann
Redaktion: Martin Bredenbeck